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Bonitätsprüfung: Ich sehe was, was du nicht siehst…

…und das ist deine Bonität – anhand von Posts, Tweets oder anderen öffentlichen Einträgen. Ein Gedanke, der wohl bei den Meisten Angst und Schrecken auslöst, jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nur ein Gedanke ist, könnte bald die Realität sein. Vor einigen Jahren schon spielte die Schufa, eine der bekanntesten Wirtschaftsauskunfteien, bereits mit der Überlegung, Posts und Einträge aus Social-Media-Kanälen wie Facebook, Xing & Co. zu nutzen, um die daraus gewonnenen Erkenntnisse über die Geprüften in ihre Bonität mit einfließen zu lassen. Nach öffentlichem Shitstorm, massiver Kritik und lautstarken Protesten, ließ die Schufa das Projekt sofort wieder fallen. Allerdings verschwand es keineswegs vom Tisch – so sind sich die meisten sicher. Die Deutschen sind bekannt für ihre Liebe zum Datenschutz und geben ihre persönlichen Informationen auch nicht mit Leichtigkeit her, doch irgendwann in naher Zukunft könnte diese Liebe verfliegen… – oder hinterrücks missbraucht werden.

Tatsächlich nutzen bereits heute einige Unternehmen die Informationen über ihre Kunden aus Social-Media-Kanälen, um daraus ihre Kreditwürdigkeit oder Zahlungsfähigkeit ableiten zu können. So entwickelten etwa die Gründer des Hamburger Unternehmens „Kredito“, Sebastian Diemer und Alexander Graubner-Müller, im Jahr 2012 einen Algorithmus, mit dessen Hilfe sie unter anderem durch die Überprüfung sozialer Netzwerke erkennen konnten, ob ihr Kunde, der sonst bei keiner anderen Bank ein kurzfristiges Darlehen in Höhe von zum Beispiel 400 Euro bekommen würde, für ihren Mikro-Kredit bis max. 1.000 Euro die dafür notwendige Bonität aufweist. Für dieses sogenannte Bonitätszertifikat mussten die Antragsteller eine von der angefragten Kredithöhe abhängige Summe bezahlen – in unserem Beispiel wären es 49,90 Euro. Abgesehen von dem umstrittenen Preis für das Bonitätszertifikat, welcher von den Gründern der Firma Kredito mit der Dringlichkeit und der dafür erklärten Zahlungsbereitschaft gerechtfertigt wurde, in Zusammenhang mit dem umstrittenen Geschäftsmodell, welches in der Vergangenheit bezüglich seiner Seriosität oft in Kritik geriet, beteuerten die beiden Datensammler, dass sie sich, anders als es die Schufa geplant hatte, zunächst die Einwilligung ihrer Kunden einholen würden, bevor sie auf deren Daten zugreifen könnten. Wer keine Kreditanfrage stellte, wurde auch nicht durchleuchtet. Das Unternehmen existiert mittlerweile nicht mehr – zumindest nicht mehr unter diesem Namen. Stattdessen gründeten Sebastian Diemer und Alexander Graubner-Müller ein neues Start-Up mit dem Namen „Kreditech“ – mit altem Geschäftsmodell. Und dieses Mal scheint das „Brain“, wie Gaubner-Müller gerne genannt wird, es richtig gemacht zu haben. Denn er hat es geschafft, die größte in der Fintech-Branche bisher vollzogene Finanzierung in Höhe von 110 Millionen Euro, an Land zu ziehen.

Was auf der Seite der Kunden vielleicht erschreckend, wenn nicht sogar verstörend, wirkt, klingt für die andere Seite, nämlich die der Unternehmen, auch irgendwo verständlich. Denn so bekannt, wie Deutschland für seine Hingabe zum Datenschutz ist, so ist es auch bekannt für seine Schwäche für den Kauf auf Rechnung, verspätete Zahlungen oder Überschuldung. Die seit geraumer Zeit zu beobachtende Verschlechterung der Zahlungsmoral, bringt die Unternehmen zunehmend in die Schutzposition und treibt sie somit zu Anpassungen ihrer Risikomaßnahmen, zu denen Schritte wie eben dieser gehören. Heraus kommt dabei zum Beispiel die aktive Zahlartensteuerung. Dieses Tool überprüft im Hintergrund und innerhalb von wenigen Sekunden die Daten, die ein Kunde beispielsweise in einem Online-Shop bei seiner Bestellung eingegeben hat, ermittelt anhand derer die Bonität und schlägt automatisch die zu der Bonität passenden Zahlungsarten vor. So wird einem Kunden, der eine negative Bonität aufweist, ausschließlich die Möglichkeit gegeben, per „Sofort-Kauf“, „Vorkasse“ oder „Kreditkarte“ zu bezahlen.

Allerdings ist der Einwand der Kritiker gegen die Nutzung der Daten aus sozialen Netzwerken, dass die bereits seit Jahren von Auskunfteien wie Schufa verwendeten Informationen ausreichen sollten, ebenso korrekt – schließlich hat das System ja gut funktioniert. Warum also ein weiterer tiefer Einschnitt in die Privatsphäre? Schon bald könnte die „den Datenschutz verherrlichende Nation“ einen weiteren Kampf gegen Datenklau und -missbrauch verlieren – ohne diesen wirklich ausgefochten zu haben. Sicher ist, dass es bald keine Ausnahme mehr sein wird, Daten aus sozialen Netzwerken zu beziehen. Irgendwann wird sich die von den Banken beherrschte Auskunftei Schufa durchsetzen und die Datennutzung aller Verbraucher ausweiten. Und wer sind letztendlich die Leidtragenden? Selbstverständlich die Mittellosen. Denn die Reichen können sich die in der heutigen Zeit teure Dienstleistungen, den Schutz der Privatsphäre, leisten, während die Mittellosen im Kampf um soziale Mobilität ihre Privatsphäre verlieren.

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