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Ausländische LKW-Fahrer: Wenn der goldene Westen zum Elendsquartier wird

Schlepperbanden locken nicht nur Syrer und Afrikaner nach Europa, sondern auch LKW-Fahrer von den Philippinen, denen man hier ein besseres Leben verspricht und sie dann unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten und leben lässt. Wie Nomaden leben diese Menschen auf Autobahn-Rastplätzen und im Fond der LKWs, die zur ständigen Wohnung umfunktioniert werden.

Die Männer heißen Ferdinand, Roland oder Daniel. Sie haben Vollzeitjobs und leben mitten in Deutschland. Sie sind ein zentraler Teil der deutschen Wirtschaft, halten sie am Laufen. Sie bedienen Hunderttausende Euro teure Technik. Von ihrer Professionalität hängt viel ab, sogar Menschenleben. Trotzdem leben sie im Dreck der Straße — und das mitten unter uns.

Schauplatz dieser Geschichte ist Höingen, ein kleiner Ort in Westfalen, am Rande des Sauerlands, etwa eine halbe Stunde von Dortmund entfernt. Hier ist die Welt scheinbar in Ordnung: Die Kreisverkehre werden von Blumenbeeten geziert, ein großes Plakat wirbt für eine Geflügelschau. Ringsum auf den Hügeln sind die Äcker akkurat bestellt, Windräder drehen sich vor blauem Himmel. Von all dem bekommen Ferdinand und seine Kollegen nicht viel mit: „Wir kennen Deutschland nur aus dem Lkw-Fenster“, sagen sie. Die drei stehen am Betriebshof der NTG Logistics GmbH, wo ihre Lastwagen parken, ganz hinten in der Ecke, hinter dem Verwaltungsgebäude. Sie stammen, wie ihre Kollegen Joevy, Rajie, Roy und Ronaldo, die jetzt dazukommen, von den Philippinen. Sie leben zu zweit in ihren Lkw-Kabinen. Wenn sie nicht fahren, stehen sie hier und warten auf Aufträge. Oder es ist Wochenende. Am Sonntag dürfen Lkws in Deutschland nicht unterwegs sein. Dann stehen sie auch hier, nur länger. Eine andere Bleibe haben sie nicht. „Wir kochen dann zusammen neben den Trucks, lesen, schlagen die Zeit tot. Es ist mentale Folter“, sagt Rajie, der Cargohosen, Crocs und eine coole Mütze trägt. Er entspricht nicht dem Klischee des schüchternen Asiaten, wie er da so breitbeinig auf dem Asphalt steht, die Hände trotzig in den Taschen. Man merkt: Er hat die Nase voll davon, wie Abschaum behandelt zu werden.

Wer die Fahrer besuchen will, geht am besten über eine Industriebrache und schlägt sich durch das hohe Gras und das niedrige Buschwerk. Fremde sind auf dem NTG-Firmengelände nicht gern gesehen. Wer es in diesen Tagen betritt, wird schnell von kräftigen jungen Männern gestoppt. Gewerkschaftern, die zu den Fahrern wollten, wurde mit Anzeige und Polizei gedroht.

Überall auf dem Brachland liegen kleine Häufchen mit Klopapier. Das Gelände ist am Wochenende neben einem schmuddeligen Dixi-Klo der einzige Ort, an dem die Männer ihre Notdurft verrichten können. Hinter den Büschen stehen die Lkws, weiße MAN ohne Beschriftung und mit polnischen Kennzeichen. Ihre Motorhauben sind aufgeklappt- Das bietet etwas Schutz vor Wind und Regen. Wäsche hängt am Kühlergrill und den Außenspiegeln. Zwischen den Wagen stehen Kocher,  Wasserkanister, Töpfe. Beutel mit Lebensmitteln hängen im Baum, damit Tiere nicht so leicht  an sie herankommen. Willkommen im Trucker-Slum, einem der traurigsten Orte, an denen Deutschlands Wohlstand gesichert wird.

Eigentlich sind die Männer gekommen, um Lkw zu fahren und damit gutes Geld zu verdienen. Das wurde ihnen versprochen. Sie wollen ihre Familien  in der Heimat unterstützen. Alle haben daheim Frau und Kinder. Alle sind seit vielen Jahren Trucker, haben Erfahrung auf fast allen Kontinenten. Zuverlässige Männer. Und Lkw-Fahrer sind gefragt, nicht nur in Deutschland, wo es seit Jahren einen Fahrermangel gibt.

Doch ein System der organisierten Ausbeutung hat die Männer zu Lohnsklaven gemacht: ohne Wohnung, abgespeist mit Versprechungen und rund 1000 Euro Monatslohn inklusive Spesen, rumgescheucht und angeschnauzt von ihren Bossen, alleingelassen, abgehängt. Joevy etwa erzählt, er stamme aus der Nähe von Manila. Dort habe er Frau und zwei Kinder. Auch um diese Jahreszeit trägt er noch Plastikschlappen. Seit 18 Monaten haust er mit einem Kollegen im Lkw. Momentan enden seine Touren regelmäßig hier auf dem Gelände TG-Logistics, der Tochter einer dänischen Firmengruppe. Ein kalter Wind pfeift jetzt über den Platz. „Wir haben Angst vor dem Winter“, sagt Joevy. Er meint nicht die Straßenverhältnisse. „Wir sind Lkw-Fahrer, die sind kein Problem.“ Stolz liegt in seiner Stimme. „Aber die Kälte macht einen krank, wenn man draußen kochen muss.“ Sein Kollege Ronaldo ergänzt: „Wir haben keine Krankenversicherungskarte, müssen den Arzt selbst zahlen. Drei Mal war ich schon bei einem. Beim letzten Mal hat er mich aus Mitleid kostenlos behandelt.“

Das Camp der Filipinos scheint auf dem NTG-Gelände zu einer festen Einrichtung geworden zu sein: Sind die  Fahrer in der Woche da, dürfen sie Toiletten und Duschen im Verwaltungsgebäude nutzen. Am Wochenende sind die jedoch verschlossen. Wer dann trotzdem hier steht, muss eben in die Büsche gehen.

Von dem Elend in dem kleinen Gewerbegebiet bekommen nur wenige in Höingen etwas mit. „Wir gehen nur mal zum Einkaufen in den Ort. Mehr können wir uns ja nicht leisten“, sagt Joevy, der von etwa 200 Euro im Monat lebt. Das reicht gerade, um mit den zehn, zwölf anderen Kollegen, die jeweils da sind, gemeinsam auf den Gaskochern heimische Gerichte zuzubereiten. Den restlichen Lohn schickt er seiner Familie nach Hause. „Wir halten Kontakt über das Internet“, sagt er. „Aber es ist gar nicht so leicht, in Deutschland an ein Handy zu kommen, um eine Internetverbindung zu haben. Dafür braucht man bei euch ja eine feste Adresse.“ Und die haben sie nicht: Die philippinischen Fahrer kommen über verschachtelte Konstruktionen nach Westfalen, führen ein Leben jenseits deutscher Gesetze und Mindestlöhne: Eine Agentur auf den Philippinen wirbt sie an und kassiert von ihnen nach Angabe der Fahrer umgerechnet zwischen 1000 und 2000 Euro Gebühren. Einige verschulden sich dafür. Dann flieg die Fahrer nach Polen, um dort bei einer offensichtlichen Briefkastenfirma einen polnischen Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Laufzeit: zwei Jahre. Von dort werden sie ausgeliehen an die dänische Spedition Kuss Transport A/S in Esbjerg und Padborg, im Süden des Landes, beim nächsten Stopp der Reise. „Nach Dänemark sind wir seitdem nicht mehr gekommen“, sagen alle übereinstimmend. Polen hat sich zum Einfallstor für Fernfahrer aus Staaten außerhalb der EU entwickelt. Allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 kamen 53.000 Trucker auf diesem Weg.

Die Firma Kurt Beier wirbt für ihre Dienste mit dem seltsamen Spruch: „Dein neutraler Partner beim Transport“. Das Unternehmen tritt als Subunternehmer mit meist unbeschrifteten Fahrzeugen für andere Fuhrunternehmen auf. „Bei Kurt Beier wurde uns gezeigt, wie man mit dem Fahrtenschreiber umgeht und wie man Schneeketten aufzieht“, erzählt Rajie. Dinge, die die erfahrenen Trucker an ihren früheren Arbeitsorten im arabischen Raum und in Afrika nicht brauchten. Von Dänemark aus ging es für Rajie und seine Kollegen dann zu Startorten in ganz Europa, etwa nach Höingen.

Spediteure lehnen Verantwortung ab

Dort hat die Nordic Transport Group (NTG), ein Zusammenschluss von mehr als 30 skandinavischen Spediteuren, ihre Niederlassung in Deutschland. Die NTG verfügt kaum über eigene Fahrzeuge oder Fahrer, setzte aber zuletzt 388 Millionen Euro im Jahr um — bei 20 Millionen Euro Gewinn. Auch die deutsche Filiale des Unternehmens besitzt unzählige, schick beschriftete Sattelzugauflieger mit deutschen Kennzeichen. „Aber wir haben nicht einen eigenen Lkw oder Fahrer“, sagt Sariye Özcelep aufgeregt, die sich als Vertreterin des Geschäftsführers vorstellt. Sie kommt sofort auf den Hof, wenn man nach den Fahrern fragt. Das Fahren übernimmt die Spedition Kurt Beier mit ihren Filipinos. Sie ist dabei der Dreh- und Angelpunkt des miesen Geschäfts. Von dort kommen die Fahrtziele und Frachten. „Mit den Fahrern haben wir nichts zu tun“, behauptet NTG-Managerin Özcelep. „Wir haben doch gar keine Ahnung, wer da am Steuer sitzt.“ Sie erzählt das in Sichtweite des Fahrercamps gleich hinter ihrem Büro. Dort kochen die Filipinos gerade zwischen den Trucks das Abendessen. Sie beeilen sich. Es ist zwar erst fünf Uhr, aber im November wird es in Deutschland früh dunkel. NTG-Chef Jesper Petersen sagte auf Anfrage, Kurt Beier habe zwei Jahre lang für NTG in Deutschland gearbeitet. „Die Situation der Fahrer ist inakzeptabel. Wir haben die Zusammenarbeit mit Kurt Beier gestoppt.“ Auch er behauptet, von den Lebensumständen der Fahrer, die seine Auflieger ziehen, nichts gewusst zu haben. Dabei arbeitet Beier auch in Dänemark für NTG. „Die Firma Beier hat nach unseren Schätzungen rund 200 philippinische Fahrer unter Vertrag“, erzählt Edwin Atema von der niederländischen Transportarbeitergewerkschaft FNV. Die FNV hat die Machenschaften des Familienunternehmens aufgedeckt und arbeitet eng mit dem Projekt „Faire Mobilität“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zusammen. Gemeinsam betreuen sie die philippinischen Fahrer, klären sie über ihre Rechte auf und helfen bei den Verhandlungen. Seit dem vorletzten Samstag sind ständig Gewerkschafter vor Ort. 16 Fahrer weigern sich momentan, weiterzufahren.

Es gibt klare europäische Regeln, die es Fahrern verbieten, ihre Freizeit im Lkw auf irgendwelchen Abstellplätzen zu verbringen. Solche Zeiten zählen nicht als vollwertige Ruhezeiten. „Rein rechtlich dürfen sie gar nicht fahren“, sagt Atema. Auch das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) sei schon da gewesen und habe die Verstöße festgestellt. Es sollen Bußgelder gegen die Verantwortlichen der Spedition verhängt werden. Um zu verhindern, dass die Fahrer wieder auf Tour gehen, reichen aber die BAG-Befugnisse nicht. Manager der Spedition Beier aus Dänemark waren vor ein paar Tagen da und haben Verbesserungen versprochen: Man könne künftig 1300 Euro monatlich zahlen. Man bemühe sich um Vierbettzimmer für die Fahrer, man wolle eine polnische Krankenversicherung organisieren. Sogar von Urlaub ist plötzlich die Rede. Und man werde bestimmte Mitarbeiter aus dem direkten Kontakt mit den Fahrern abziehen. Die hatten sie nämlich am Telefon oft unflätig und wohl auch rassistisch beschimpft. Es zeigt vor allen Dingen, wie mies die Trucker bisher dran waren: ohne Sozialversicherung beschäftigt, weit unter Mindestlohn bezahlt, ohne Anspruch auf Urlaub und unter Verstoß gegen die Ruhezeiten eingesetzt, beschimpft und unter Druck gesetzt. „Den Fahrern wurde angedroht, es käme ein Bus, der sie zum Flughafen bringe, wenn sie nicht weiterarbeiten würden“, sagt Michael Wahl vom DGB-Projekt „Faire Mobilität“ in Berlin. Dann wären sie für europäische Gerichte als Zeugen kaum mehr greifbar.

Anzeige wegen Menschenhandels

Auch deswegen stehen die Gewerkschafter in Höingen Wache. „Wir sind froh, dass sie da sind“, sagt Joevy. „Wir wollen ja arbeiten, aber auf legale Weise.“ Sein Kollege Roy ergänzt: „Die haben uns unsere Weltsicht ruiniert: Europa war für uns immer das Größte. Hierwollte ich unbedingt arbeiten. Aber jetzt weiß ich: Es war sogar in Saudi-Arabien besser. Da bekamen wir Zimmer, saubere Toiletten und eine Küche“ Die philippinische Botschaft in Berlin hat inzwischen auch Mitarbeiter nach Höingen geschickt. Die versuchen, mit Essensspenden das Vertrauen ihrer Landsleute zu gewinnen, drängen aber darauf, schnell und möglichst geräuschlos die Arbeit wieder aufzunehmen. „Schreiben Sie ruhig, dass die eine ganz üble Rolle spielen“, sagt Edwin Atema. Der niederländische Gewerkschafter war selbst zehn Jahre Trucker und erlebt nicht zum ersten Mal, welchen Druck Unternehmen und Offizielle auf aufmüpfige Fahrer ausüben. „Für die Philippinen sind Arbeitskräfte das wichtigste Exportgut. Sie haben einen guten Ruf, gelten als zuverlässig und versiert. Das sollen Forderungen der Fahrer, egal, wie berechtigt sie sind, nicht gefährden.“ Die Gewerkschafter haben die Spedition Kurt Beier angezeigt: wegen Menschenhandels, Zwangsarbeit und Ausbeutung der Arbeitskraft. Straftatbestände, die man bisher eher aus der Rotlichtkriminalität kannte. Die in Deutschland zuständige Staatsanwaltschaft Arnsberg sieht allerdings noch keinen Anfangsverdacht. Die Ermittlungen sollen in dieser Woche abgeschlossen werden. In Dänemark ist das anders: Da ermittelt die Polizei schon wegen Verdachts auf Menschenhandel gegen das Familienunternehmen Kurt Beier. Die Firma war für eine Stellungnahme vergangene Woche nicht zu erreichen was auch mit der Beerdigung des Firmengründers am Freitag zu tun haben dürfte. Der Namensgeber der Spedition war kurz vorher „nach langer, schwere Krankheit“, wie es in der Todesanzeige heißt, im Alter von 69 Jahren gestorben. Die Schmach der öffentlichen Anschuldigungen als Zuhälter der Straße blieb ihm erspart. Schon seit einiger Zeit leiten seine Kinder Karsten und Gitte Beier die Firma. Sie haben auch mit der philippinischen Botschaft verhandelt. In dänischen Zeitungen wird ihnen ein Hang zu teuren, aufwendig sanierten Villen unterstellt. Sogar ein Haus in Monaco sollen sie besitzen — samt standesgemäßem Ferrari. Dort feierte Karsten Beier opulent Hochzeit. Ein krasser Gegensatz zur Lebenssituation der Lkw-Fahrer, die für die Familie Geld verdienen.

3 COMMENTS

  1. Sehr wohl entspricht der Artikel der Wahrheit: Habe selbst so einen philippinischen Fahrer an einer Raststätte kennengelernt. Der hat von ähnlichen Bedingungen erzählt. Warum sollte eine Firma namentlich benannt werden, wenn alles unwahr ist. Dieser Herr Dräger ist garantiert selbst ein Fake-Name. Ein typischer Spinner, wie sie zu tausenden im Internet rumkriechen.

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