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Politik

Der Innenminister und die Müllhalde

Die Journalistin Hengameh Yaghoobifarah veröffentlichte am 15. Juni einen Artikel in der taz mit dem Titel „All cops are berufsunfähig“. In ihrer Kolumne stellt sie die Frage, wo Polizeibeamt*innen arbeiten sollten, falls auch in Deutschland der Ruf nach der Abschaffung der Polizei größer wird, ähnlich wie in den USA. Ihre satirische Antwort auf die Frage ist eindeutig: Nur auf der Müllhalde würden diese Ex-Polizist*innen noch Platz finden. Der Text erntet viel Aufmerksamkeit vor allem aus den Reihen der CSU, insbesondere vom Bundesinnenminister Horst Seehofer, der vorerst ankündigte Yaghoobifarah zu verklagen. Danach tauchte Seehofer ab und meldete sich erst wieder zehn Tage nach der Veröffentlichung der Kolumne. Jetzt gab er bekannt von der angekündigten Strafanzeige abzusehen und die taz-Chefredaktion lieber zu sich einzuladen „um mit ihr den Artikel und seine Wirkung zu besprechen“, wie es in einer Presseerklärung hieß. Horst Seehofer will sich außerdem an den deutschen Presserat wenden, der als ein selbstkontrollierendes Organ funktioniert. Nach Angaben des Presserates sind bereits 340 Beschwerden gegen die Kolumne von Yaghoobifarah eingegangen, die ihr allesamt den Bruch des Pressekodex unterstellen.

Noch vor einigen Tagen gab es selbst in der taz-Redaktion Befürworter und Gegenspieler. Der taz-Journalist Christian Jakob schreibt in seinem Essay „Die Welt ist nicht schwarz-weiß“, dass es nach der Veröffentlichung der Kolumne „interne Distanzierungs- wie Solidarisierungsbekundungen“ gegeben hätte. Die Chefredakteurin der Zeitung, Barbara Junge, entschuldigt sich öffentlich und beschreibt Yaghoobifarahs Wortwahl in der Kolumne als „danebengegriffen“.

Am 25. Juni kündigte Horst Seehofer schließlich an, keine Strafanzeige zu erstatten, aber sich mit der Redaktion treffen zu wollen. Die taz geht auf das Angebot des Innenministers ein, so die Chefredakteurin, sie wollen nur den Ort des Treffens verändern. Die Besprechung der Kolumne soll nicht im Bundesinnenministerium stattfinden, sondern in der Polizeischule Eutin, die sich bei dem Programm „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ engagiert. In dem Netzwerk sind über 3.000 Schulen aktiv, die sich gegen Diskriminierung und für den Erhalt der Menschenwürde aussprechen. Die teilnehmenden Schüler*innen entscheiden selber, mit welchen Themen sie sich genau beschäftigen wollen und organisieren dann zusammen mit den Pädagog*innen die jeweiligen Projekte. So gab es bereits „Konzerte gegen Rassismus und gemeinsame Demonstrationen in der Stadt“, aber auch „Diskussionsrunden mit Politiker*innen“ oder andere Projekttage, wie es auf der Website des Netzwerks heißt. Eine weitere Diskussionsrunde wird es vielleicht mit dem Bundesinnenminister und der taz-Chefredaktion geben.

Bevor klar wurde, dass Horst Seehofer auf eine Klage verzichtet, hatten sich 600 Autor*innen, Journalist*innen und andere Künstler*innen in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel gewendet. Der Brief verurteilte Seehofers Vorhaben als einen massiven „Angriff gegen die Presse- und Meinungsfreiheit“. Die Bundesregierung sollte nämlich nicht gegen freie Meinungsäußerungen agieren, sondern sich „aktiv für den Schutz dieser Freiheiten“ einsetzen. Unter anderem unterzeichneten den Brief die Spiegel-Kolumnistin und Autorin Margarete Stokowski, die Comedian Enissa Amani, Seenotretterin Carola Rackete, Jan Böhmermann und zahlreiche taz-Journalist*innen. Der Satiriker Jan Böhmermann hatte bekanntermaßen selber zuvor Probleme mit den Schranken des Grundrechts zur Meinungs-, Kunst-, und Pressefreiheit bei seinem Schmähgedicht gegen den türkischen Präsidenten Erdogan.

Der Schwerpunkt der äußerst wichtigen Auseinandersetzung mit polizeilichem Rassismus und Diskriminierungen hat sich dank der Diskussion um die satirische Kolumne von Yaghoobifarah verlagert und seinen Fokus verloren. Statt sich tagelang mit dem Ankündigen und dem anschließenden Rückzug von Strafanzeigen gegen Journalist*innen zu beschäftigen, wäre es von Vorteil, sich anzugucken, wie viel Wahrheit in den satirischen Aussagen steckt und dafür zu sorgen, dass es einen derartigen Text gar nicht erst geben muss. Es bleibt zu hoffen, dass Horst Seehofer die Einladung der taz-Redaktion annimmt und auf der Polizeiwache in Eutin tatsächlich etwas über strukturellen Rassismus bei der Polizei erfährt, für welche er als Innenminister schließlich zuständig ist.

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