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Die Geheimnisse der Akupunktur

Am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München hat es die Akupunktur bereits in den OP-Saal geschafft. Wer hier operiert wird, bekommt zuvor kleine Nädelchen aufs Handgelenk geklebt. Exakt über dem Mittelhandnerv. „Das ist ein Punkt gegen Übelkeit“, erklärt Professor Dominik Irnich, Leiter der interdisziplinären Schmerzambulanz am Klinikum der LMU am Standort Innenstadt. Vor dem Eingriff und danach massiert der Patient, ein Arzt oder Pfleger die Nadeln mit kreisenden Bewegungen und stimuliert so die Nerven. Diese leiten Signale zu Hirnstamm und Brechzentrum. Das soll verhindern, dass dem Patienten durch die Narkose übel wird.

Vom Stechen und Brennen

Dass dies funktionieren kann, zeigen wissenschaftliche Studien. Laut einem Review des Medizinnetzwerks Cochrane wirkt Akupunktur ähnlich effektiv wie entsprechende Medikamente zur Vorbeugung von Übelkeit und Erbrechen nach Operationen.

Die Wurzeln der Akupunktur reichen jedoch weit vor die Zeit der modernen Chirurgie. Als Teil der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) wurde schon vor etwa 2500 Jahren gepikst. „Der systematische Kanon des  Stechens und Brennens“ lautet der Titel des ersten sicher datierbaren Werks über die Akupunktur von Huangfu Mi im dritten Jahrhundert nach Christus. Ähnlich rabiat, wie der Titel klingt, könnte die Behandlung damals auch gewesen sein. „Die Nadeln waren wahrscheinlich nicht so dünn wie heute“, vermutet Dr. Stefan Hager, ärztlicher Direktor der Ersten Deutschen Klinik für Traditionelle Chinesische Medizin in Bad Kötzting im Bayerischen Wald.

Die Klinik wirkt wie ein Ort der Erholung: Warmes Licht durchflutet die Flure, Wasser mit Kräutern steht bereit, die Räume sind mit Fächern und bunten Vasen geschmückt. Wer hierherkommt, blickt meist auf einen längeren Krankheitsweg zurück. „Unsere Patienten haben oft chronische Beschwerden, zum Beispiel Muskel- und Gelenkschmerzen oder Haut- und

Lungenerkrankungen“, erzählt Hager. Hier werden sie nach den Säulen der TCM therapiert. Dazu zählt neben der chinesischen Kräutertherapie unter anderem die Akupunktur. Zwei- bis dreimal pro Woche werden die Patienten akupunktiert, im Schnitt mit zehn Nadeln. „Meist merken wir nach etwa fünf bis sechs Sitzungen Besserungen“, so Hager. Am wirksamsten sei die Therapie bei chronischen Schmerzen. Das belegen auch Studien. Demnach erzielt die Akupunktur nachweisbar gute Erfolge vor allem bei Kopf-, Rücken- und Schulterschmerzen sowie bei Beschwerden durch eine Arthrose im Kniegelenk. Bei der Frage nach dem Warum unterscheiden sich jedoch die traditionellen von den heutigen wissenschaftlich belegten Vorstellungen.

Lebensenergie vs. Nervenbahnen

Laut TCM durchziehen bestimmte Leitbahnen den Körper, sogenannte Meridiane. Sind sie blockiert, könne die Lebensenergie Qi nicht mehr richtig fließen – Symptome oder Krankheiten entstünden. Durch Nadelstiche in bestimmte Punkte könnten diese Blockaden gelöst werden. Knapp 400 solcher Akupunkturpunkte befinden sich laut TCM im ganzen Körper.

Aus naturwissenschaftlicher Sicht gibt es jedoch keine Hinweise, dass solche Leitbahnen existieren. Die moderne Medizin liefert andere Erklärungen für die ausstrahlende Wirkung der Pikser. „Ein Akupunkturpunkt liegt zum Beispiel oft über Nerven, Faszienlücken oder ist etwa ein Muskel-Triggerpunkt“, erklärt Schmerzmediziner Irnich. Werden die Nervenbahnen stimuliert, strahlt der Nadelreiz im Gewebe aus.

Was genau im Körper passiert, ist jedoch wissenschaftlich nicht geklärt. Bisherige Studien deuten an, dass der Nadelstich verschiedene Mechanismen auslöst. „Durch die Hautverletzung werden Botenstoffe ausgeschüttet, die im lokalen Gewebe, aber auch auf Ebene des Rückenmarks und des Gehirns verschiedene Prozesse in Gang setzen“, erklärt Irnich.

Im Gewebe um den Einstich herum ändert sich zum Beispiel die Durchblutung, ähnlich wie bei jeder anderen Hautverletzung auch. Darüber hinaus deuten Studien an, dass während der Nadelbehandlung im Gehirn schmerzlindernde und stimmungsaufhellende Substanzen wie etwa Endorphine ausgeschüttet werden. Zudem seien Wirkungen auf Hormone, das vegetative Nervensystem und die Immunabwehr beschrieben worden.

Mehr Sein als Schein

Wie genau Akkupunktur wirkt, muss weiter erforscht werden. Ebenso welche Rolle es spielt, an welche Stellen man genau die Nadeln setzt. In vielen Studien wurde Akkupunktur mit sogenannter Scheinakupunktur verglichen. Dabei sticht man die Nadeln in „falsche“ Stellen. Dennoch konnten Forscher teils ähnlich positive Effekte wie bei der Akupunktur nachweisen. Offenbar beruht der Therapieerfolg also auch auf einem Placebo-Effekt, so die Folgerung.

Dieser reiche jedoch als alleinige Erklärung nicht aus, lautet das Ergebnis einer Metaanalyse von 2018, an der Irnich beteiligt war. Demnach zeige sich die Akupunktur der Scheinakupunktur bei bestimmten Schmerzerkrankungen überlegen, etwa bei   chronischem Kopfschmerz sowie chronischen Muskel-Skelett-Beschwerden.

Stefan Hager spricht statt von Akupunkturpunkten teils eher von Area len. So sei bei manchen Punkten die exakte Stelle offenbar nicht entscheidend, bei anderen dagegen schon, schildert der TCM-Klinikdirektor seine Erfahrung: „Bei den sogenannten Brunnenpunkten an den Zeh- und Fingernägeln merkt man genau: Hat man sie getroffen, geht der Schmerz oft schlagartig weg. Liegt man daneben, passiert nichts.“

Nur ein Baustein der Therapie

Schmerzmediziner Irnich empfiehlt, sich nur von gut ausgebildeten Ärzten akupunktieren zu lassen. Es sei ein Verfahren, das in den Körper eindringt. Es passiere zwar sehr selten, aber es könne mal zu Komplikationen kommen. „Zum Beispiel sticht man zu tief, sodass Luft in den Spalt zwischen Lunge und Brustwand gelangt. Darauf kann nur ein Arzt richtig reagieren.“

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