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Star der Grünen in Hessen: Tarek Al-Wazir

Die Grünen hatten ihre beste Zeit beinahe hinter sich, zumindest auf Bundesebene, als ihnen in Hessen mit der Nominierung von Al-Wazir zum Wirtschafts- und Verkehrsminister der große Wurf gelang. Jetzt träumt die Partei sogar davon, zu einer echten Volkspartei jenseits der 20% Marke zu werden. Noch ist Tarek Al-Wazir hinter Volker Bouffier als Regierungschef positioniert, aber schon bald könnte er dessen Ablösung sein. Wenn den Grünen nicht zukünftig weiter der Hang zum Populismus vorgeworfen wird, könnte dieser Mann der Partei noch viel Gutes tun.

Zu seinem Arbeitsalltag zählt auch der Besuch von allerlei unterschiedlichen Veranstaltungen. So wie im Oktober letzten Jahres, da hatte Tarek Al-Wazir eine unerwartete Begegnung mit seiner Vergangenheit. Ein Wahlkampftermin, ein  Rundgang durch die Ausstellung „Dagegen! Dafür? Revolution. Macht. Geschichte.“ im Jungen Museum Frankfurt. Und dann war da dieses Poster aus der Zeit der Proteste gegen die Startbahn West am Frankfurter Flughafen um das Jahr 1980. Man sieht junge Demonstranten in Wollpullis, die vor einer selbstzusammengezimmerten Holzhütte sitzen. Al-Wazir schaute lange auf das Plakat. Da trat von hinten ein älterer Mann an ihn heran, der sich als grüner Aktivist der ersten Stunde outete: Mitgliedsnummer 123. „Das war aber vor deiner Zeit, Tarek!“ sagte der Mann zu Al-Wazir. — „Was?! Wieso?!“, entgegnete Al-Wazir. „Bei diesen Protesten habe ich als Zehnjähriger meine Wochenenden verbracht!“ — „Davon merkt man heute aber nichts mehr“, gab der Mann zurück. „So radikal ist bei euch heute keiner mehr!“ Der Altgrüne wollte sich noch ein bisschen beschweren über faule Kompromisse und das verschleuderte Erbe der 68er, aber da war der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister längst in den nächsten Ausstellungsraum entschwunden.

Die Begegnung war für Al-Wazir wohl nur eine kleine Irritation auf der Erfolgsspur, auf den letzten Metern vor einem historischen Sieg. „So grün war Hessen noch nie!“, jubelt Tarek Al-Wazir jetzt überall und gelobt, diese „offene Gesellschaft, auf die wir stolz sind, zu verteidigen“. Patriotismus kann er auch noch! Einen modernen, grün angehauchten, versteht sich. Geht er demnächst übers Wasser? Was für ein erbärmliches Figurenpanorama von zerknirschten und verzweifelten Verlierern schleppt sich in Zeiten des GroKo-Elends über die Bühnen der Republik. Der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt und der Durchblicker-Brille scheint dagegen jetzt auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Gäbe es ihn nicht — man müsste ihn erfinden. Denn wie nur wenige steht Tarek Mohamed Al-Wazir für die Grünen von heute; für die Erfolgspartei der Stunde. Der Vater ein Diplomat und Geschäftsmann aus dem Jemen, die Mutter eine deutsche Lehrerin. Als Kind, das stimmt tatsächlich: mitgenommen von der sehr linken und sehr engagierten Mutter ins Protestcamp der Startbahngegner. Er hat da mitgezittert und gebibbert. Mehr grün geht eigentlich nicht. Und heute: Wahlsieger, Königsmacher und wohl erneut Minister in einer Koalition mit dem schwarz-konservativen CDU-Reibeisen Volker Bouffier. Mit seiner Frau Bushra Barakat, die wie er Wurzeln im Jemen hat, und seinen beiden Söhnen bewohnt  Al-Wazir eine Doppelhaushälfte  im Offenbacher Stadtteil Rumpenheim. Rumpenheim, wie das schon klingt. Mehr Bürgerlichkeit geht eigentlich auch nicht. Aber wer sagt denn, dass „grün“ und „bürgerlich“ Widersprüche sein müssen? In der Person von Al-Wazir vereint sich beides aufs Allerschönste, gerade so wie in den anderen Führungsfiguren der Grünen — dem immer sorgfältig auf zerknautscht zurechtgemachten Großdenker Robert Habeck und der notorisch engagierten, aber letztlich doch sympathischen Schnellrednerin Annalena Baerbock. Ist das, was bei der Wahl in Hessen passiert ist, ein Signal für die Zukunft, ein Hinweis auf veränderte Koordinaten des deutschen Parteiensystems, auf neue Mehrheitsbildungen, weit entfernt von alten ideologischen Gräben? „Ich halte nichts von solchen Überhöhungen“, gibt Al-Wazir auf solche Fragen trocken zurück.

Niemand muss ihn fürchten

Bloß keine Überhöhungen — das ist einer seiner Lieblingssätze. Einige an der grünen Basis würden sich zwar gern ein paar „Überhöhungen“ mehr wünschen. Aber, das ist der große Vorteil der politischen Nüchternheit des Tarek Al-Wazir: Vor so einem muss niemand Angst haben. Wenige Wochen vor der Wahl avancierte er in einer Umfrage zum mit Abstand beliebtesten Politiker in Hessen. Im Wahlkampf empfahl sich Al-Wazir als Mensch gewordene Konsensmaschine — mit Sätzen wie diesem: „Erstens läuft nicht alles gut auf der Welt. Zweitens müssen die Leute sich einmischen. Und drittens müssen wir die Demokratie verteidigen.“ Stimmt eigentlich alles. Wer sollte was dagegen haben? Die Grünen des Jahres 2018 sind eine sympathische Partei, eine zumindest jenseits des AD-Milieus unbegrenzt zustimmungsfähige Wohlfühlpartei. Und Al-Wazir, der Sieger von Hessen, ist ihr prototypischer Vertreter.

Geboren in Offenbach, als Jugendlicher zog er nach der frühen Trennung seiner EItern für zwei Jahre zu seinem Vater in den Jemen. Er trug das landestypische weiße Gewand mit dem Krummdolch im Gürtel, er lernte Arabisch — und stellte dann fest: „Meine Heimat ist und bleibt Deutschland. „Al-Wazir kehrte zurück und machte Karriere. Tarek heißt übersetzt: „Einer, der Einlass begehrt“. Der Name passt gut zu ihm. „Als Student aus Sanaa“ wurde er in jungen Jahren im Wiesbadener Landtag aus den Reihen der tiefschwarzen Hessen CDU verhöhnt — was erstens ziemlich rassistisch und zweitens ziemlich ungerecht war. Denn dieser Tarek AI-Wazir ist sehr deutsch— Sekundärtugenden inbegriffen.

Mit dem CDU-Regierungschef Volker Bouffier, der früher mal der Schwärzeste in der schwarzen Hessen-CDU war, bildet er ein kongeniales Duo. Neben dem jovialen Gemütsmenschen mit der Raucherstimme wirkt Al-Wazir mit seiner blitzgescheiten „Herr Lehrer, ich weiß was“-Attitüde immer wie der adoptierte Sohn. Aber Al Wazir hat dafür gesorgt, dass nicht er es ist, der jetzt die Zeche zahlt für unvermeidbare schwarz-grüne Kompromisse — sondern Bouffier. Staubtrocken, fleißig und sachkompetent hat Al-Wazir als Wirtschaftsminister in Hessen wegregiert, was wegzuregieren  war — und davonprofitiert, dass viele ideologische Schlachten von einst bei seinem Amtsantritt vor knapp fünf Jahren längst entschieden waren: Der Atomreaktor in Biblis wurde 2011 abgeschaltet, die Verlängerung der Autobahn A44 war unwiderruflich genehmigt. Gleiches gilt für ein neues, drittes Terminal am Frankfurter Flughafen. Die Startbahn West, wo der kleine Tarek einst im Hüttendorf erste Protesterfahrungen sammelte, ist längst in Betrieb.

Al-Wazir verweist auf Erfolge: den Ausbau von Windenergie und Ökolandwirtschaft, ein günstiges und landesweit gültiges Schülerticket für Bus und Bahn, einen neuen Radschnellweg zwischen Frankfurt und Darmstadt. Aber das Thema Wohnen, in dem sozialer Sprengstoff steckt, haben die hessischen Grünenlange unterschätzt. Und der grüne Minister Al-Wazir musste über den Bundesrat mitmachen bei Verschärfungen des Asylrechts. „Wir werden als Stimme der Vernunft wahrgenommen“, so erklärt er jetzt den Grünen-Höhenflug. Tatsächlich erscheint die Partei mit der Sonnenblume immer häufiger als letztes Seriositätsangebot der deutschen Politik, während die GroKo in Berlin über ihre Zankereien zum Sponti-Klub mutiert. So  ändern sich die Zeiten.

Mit ihren Erfolgen rücken die Grünen immer mehr in die Mitte der Gesellschaft — an den Ort, wo die Interessen auf einander prallen, wo die Kompromisse besonders schmerzhaft sind. Eine Vorahnung  davon, was das bedeuten kann, bekam Al Wazir im Wahlkampf — beim Rundgang über einen Wochenmarkt in Rüsselsheim.

Ein Obstbauer, einen Kopf größer als Al-Wazir, redete auf den grünen Minister ein wie auf einen Schuljungen, der etwas ausgefressen hat. Der Landmann steigerte sich in wütende Ausfälle —über ein mögliches Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration, die EU-Bürokratie, das Image  der Bauern: „Wir werden dargestellt wie Umweltverpester! Wie Tierquäler! Das tut richtig weh.“ Al-Wazir lächelte sein Lächeln, das immer etwas hintergründig daherkommt, und hielt ein kurzes Plädoyer über den Wert von Kompromissen in der Demokratie. Der Obstbauer schüttelte mit dem Kopf. Al-Wazir sagte: „Tja, ist halt alles kompliziert.“ So sehen heute grüne Sieger aus: Es ist alles kompliziert, es gibt keine einfachen Lösungen. Bloß keine Überhöhungen.

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