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So funktioniert Ausbildung heute

Als Wolfgang Scheer seine Ausbildung zum Feinmechaniker begann, gehörte eine Menge Frust dazu. 160 Arbeitsstunden lang feilte der Teenager bei seinem Arbeitgeber Continental aus Rundstahl würfelförmige Klötzchen. Vier Wochen stumpfes Feilen. Die Früchte dieser Fleißarbeit kamen anschließend in den Abfall. Edelschrott. Fast 40 Jahre ist das her. Heute ist Scheer Ausbildungsleiter Deutschland bei der Continental AG und damit oberster Lehrherr von über

2 000 Azubis und dualen Studenten. Aus dem Teenager ist ein Mann mit zwei erwachsenen Kindern geworden, die selbst bereits in der Ausbildung sind. Auch sonst hat sich eine Menge geändert. „Wir wollen eine Ausbildung in den realen Geschäftsprozessen“, sagt Scheer. „Heute versuchen wir, die Zeiten mit klassischen Übungsstücken möglichst zu minimieren.“ So früh wie möglich, so lautet das Credo beim Autozulieferer, sollen die Auszubildenden Produkte herstellen, die im Betrieb eingesetzt werden. Die Hoffnung: Wer Dinge fertigt, die gebraucht werden, ist motivierter.

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Und lernt schneller. Wenn Scheer durch die Ausbildungswerkstatt im hessischen Babenhausen führt, wird schnell klar, dass alles hier diesem Ziel gewidmet ist. In den Räumen werden Roboter gebaut und programmiert, die anschließend in der Produktion genutzt werden, zusätzlich fertigt ein 3D-Drucker in Kleinserie Teile für andere Maschinen an. Gemanagt werden viele dieser Aktivitäten in einer Juniorfirma, in der in Grund-

Zügen betriebswirtschaftliches Wissen vermittelt werden soll. „Der Azubi soll immer den gesamten Geschäftsprozess sehen“, sagt Scheer. „Wir wollen breiter ausbilden.“ Ähnlich wie in anderen technologiegetriebenen Konzernen in Deutschland geht es den Ausbildern bei Continental auch darum, Mitarbeiter heranzuziehen, die selbstständig denken und damit flexibler auf technische Neuerungen reagieren können. Statt nur Befehlsempfänger zu sein, sollen die Azubis selbst Erlerntes weitergeben — an Gleichaltrige, aber auch ältere Kollegen. „Jung coacht Alt“ heißt das bei Conti. Es ist ein Ansatz, der von Schulpädagogen wie Maria Montessori schon lange bekannt ist. In der betrieblichen Ausbildung zieht er erst mit Verzögerung ein, dafür aber mit Macht. Ein Grund ist die Digitalisierung. Die Jugendlichen beherrschen den Umgang mit Tablet oder Smartphone oft besser als ältere Mitarbeiter. Sie können also wirklich etwas weitergeben. „Die Auszubildenden haben einen viel selbstverständlicheren Zugang zu allem Digitalen“, sagt Björn Frederik Knack. Der Ausbilder steht im blauen Kittel hinter zwei jungen Männern, die sich an einem Roboter zu schaffen machen. Dessen Greifarm soll ein kleines Metallstück von einem Feld zu einem anderen bewegen. Der Ablauf muss am Rechner eingestellt werden.

Beide Azubis sind im zweiten Lehrjahr, aber der eine, Tobias Kummer, hat mehr Erfahrung mit dem Gerät als sein Kollege Marco Multhaup. Beim ersten und zweiten Versuch setzt der Roboter das Stück noch knapp neben dem Ziel ab. Multhaup legt es zurück aufs Ausgangsfeld, während Kummer die Parameter am Bildschirm korrigiert. Nun klappt es: Der Roboter trifft sein Ziel. Anschließend wechselt Multhaup an den Rechner, begleitet von Tipps seines Kollegen. Am Ende des Tages werden beide die Software bedienen können, ohne dass sich ein Ausbilder einmischen musste. Björn Frederik Knack, der sich selbst als Kind von Alt-68ern bezeichnet, kommt gut klar mit dieser Auslegung seiner Rolle. Er hat beobachtet, dass seine Schützlinge die Aufgaben stärker hinterfragen als früher. Das kann anstrengend sein, aber letztlich dient es dem Ergebnis.

Auch Ausbildungsleiter Scheer glaubt, dass an den neuen Lehrmethoden im Grunde kein Weg vorbeiführt. „Der Wandel ist rascher geworden, und wir brauchen Menschen, die dem standhalten können“, sagt er. Wie wichtig das sein kann, lässt sich am 3D-Drucker beobachten, der in einem separaten Raum neben der Robotermontage steht. Viel Erfahrung hat Continental mit solChen Geräten bisher nicht gesammelt, weshalb die Ausbilder wenig darüber wussten. Also machten sich die Auszubildenden ohne Anleitung über den Drucker her – sie arbeiteten sich in seine Funktionsweise ein, brachten das Gerät in Gang und fertigen damit nun kleine, am Computer modellierte Kunststoffbauteile an, die von anderen Abteilungen angefragt werden. Knack sagt, die jungen Leute wüssten deutlich mehr über das Gerät als er selbst. Er sagt das mit sehr zufriedenem Gesicht. Dann präsentiert einer der Azubis ein kompliziert aussehendes Teil, das der Drucker nach ihren Vorgaben angefertigt hat. Es soll bald in einer Maschine im Betrieb eingesetzt werden. Eindeutig kein Edelschrott.

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