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Skandalöse Umstände der HRE-Banken-Rettung 2008 mittlerweile aufgedeckt

Das Possenspiel, die Vertuschungen und Ungereimtheiten um die 2008 von der Pleite bedrohten Hypo-Real-Estate Bank (HRE) wurden in jahrelanger aufwändiger Recherche mittlerweile aufgeklärt und zeigen, dass die Bundesbank offensichtlich ein ganz faules Spiel in dieser Rettungsaktion gespielt hatte. Aber wer will jetzt, 10 Jahre später, den Verantwortlichen dafür nun den Kopf waschen?

Was man in mühevoller journalistischer Kleinarbeit herausgearbeitet hat, mutet wie eine bankeninterne Schmierenkomödie an, in die auch BaFin und Bundesregierung (A.Merkel) verstrickt waren. Zu damaligen Zeitpunkt war die HRE-Bank bereits in höchster Not. Für die Problemlösung wurden nur ranghohe Persönlichkeiten zusammengebracht: Das Treffen war ein Krisengipfel. Knapp zwei Wochen nach dem Crash der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers am letzten Septemberwochenende 2008 versammelten sich in den Frankfurter Geschäftsräumen der deutschen Finanzaufsicht BaFin die damals wichtigsten Männer der deutschen Finanzszene und eine Finanzaufseherin. Unter anderem waren Bundesbankpräsident Axel Weber, BaFin-Chef Jochen Sanio und Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann anwesend, auch dessen Kollege Martin Blessing von der Commerzbank. Dazu eine wichtige Frau: Sabine Lautenschläger, damals Abteilungsleiterin bei der Finanzaufsicht BaFin. Sie diskutierten die Frage, wie man den Zusammenbruch der schwer angeschlagenen Hypothekenbank Hypo Real Estate (HRE) verhindern könne. Man einigte sich auf eine Garantie der Bundesregierung, das Problem HRE wurde damit vor allem auf Kosten der Steuerzahler gelöst. -Die Beteiligten verklärten ihre Rettungsaktion später zu einer Art Heldentat, die den Zusammenbruch des deutschen Finanzsystems verhindert habe.

Dabei hatte die Rettung der HRE noch einen ganz anderen Hintergrund — der die Entscheidung der Krisenmanager weit weniger glorreich erscheinen lässt. Denn nach allgemeinen Recherchen diente die Rettung der Hypothekenbank auch dazu, ein massives Versagen der deutschen Bankenaufsicht zu vertuschen und davon abzulenken, dass die Bundesbank selbst schlecht gesicherte Papiere und damit Risiken in Höhe von Hunderten Milliarden Euro in ihren Büchern stehen hatte. Bundesbankchef Weber und Chefaufseher Sanio rangen der Bundesregierung eine Entscheidung ab, mit der diese Risiken am Ende in den Griff zu bekommen waren — die genauen Zusammenhänge waren der Politik aber offenbar nicht klar.

Zwar wurden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) gegen Ende telefonisch zugeschaltet. Ihre Berater, Jens Weidmann für die Kanzlerin und Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen, saßen aber nicht mit am Verhandlungstisch, verstanden laut Insidern allerdings auch zu wenig von der Sache.  Erst gegen Ende des Treffens stieß Asmussen zu der Runde in Frankfurt. Das Hauptproblem der HRE und ihrer irischen Tochter Depfa war — anders als bei anderen Banken — weniger die amerikanische Immobilienkrise und ihre Folgen. Beide Banken hatten ein anderes Problem: Sie hatten sich im großen Stil mit sogenannten ungedeckten Bankschuldverschreibungen (UBSV) Geld beschafft.

Diese Schuldscheine sind nur durch das Versprechen einer Bank gedeckt, den per UBSV geliehenen Betrag bei Fälligkeit zurückzuzahlen. Anders als bei klassischen Krediten können Gläubiger bei einer Pleite des Schuldners nicht auf eine Immobilie oder andere Sicherheiten zurückgreifen, die sich zu Geld machen ließen. Sie sind, um es klar zu sagen, extrem risikoreich. UBSV werden deshalb von den großen Notenbanken meist nicht als Pfand akzeptiert, wenn sich Kreditinstitute Geld bei ihnen leihen. So handhaben es die Bank of England, die amerikanische Federal Reserve, die Bank of Japan oder die Schweizerische Nationalbank.

Anders die Europäische Zentralbank (EZB). Bei ihrer Gründung gerieten die zweifelhaften UBSV irgendwie auf die Liste der akzeptierten Sicherheiten, gegen die Banken sich Geld beschaffen konnten. Was bedeutet, dass die EZB diese unsicheren Papiere genauso behandelte und akzeptierte wie weitaus sicherere Wertpapiere. Im Lauf der Jahre sammelten sich deshalb immer mehr der riskanten UBSV bei den Notenbanken des Eurosystems an — während private Banken für das Verleihen untereinander lieber auf sichere Pfandbriefe setzten. Anders gesagt: Die unsicheren  Papiere wurden zu den Notenbanken geschoben, die sicheren behielten die Privatbanken.

Zu Beginn des Jahrtausends lagen bei der Bundesbank noch notenbankfähige Sicherheiten in Höhe von 405 Milliarden Euro, der Anteil der heiklen UBSV darin betrug nur 61 Milliarden Euro, rund 15 Prozent. Im Jahr 2008, dem Jahr der Krise, waren die Sicherheiten deutscher Geschäftsbanken für Geldgeschäfte mit der Bundesbank auf 802 Milliarden Euro angeschwollen, und sie bestanden nun zu 44 Prozent aus ungedeckten Bankschuldverschreibungen, mit einem Gesamtwert von sagenhaften 353 Milliarden Euro.

Das waren 80 Prozent aller vom Eurosystem angenommenen UBSV in Gesamthöhe von 442 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Die Bundesbank hatte ein enormes Klumpenrisiko in ihren Büchern. Und dieses Risiko wurde zum Problem, als am 15. September 2008 Lehman Brothers zusammenbrach.

Durch den Zusammenbruch verloren die UBSV drastisch an Wert, die Banken trauten einander nicht mehr. Das bekam auch die Depfa zu spüren, die kurz zuvor von der HRE übernommen worden war, ihren Sitz in Dublin hatte und sich im großen Stil über die Ausgabe von UBSV mit kurzen Laufzeiten finanziert hatte. Bereits am Tag nach der Lehman-Pleite wollte niemand mehr der Depfa ihre Papiere abkaufen. In ihrer Not wandte sich die Depfa an die für sie zuständige irische Notenbank, die Central Bank of Ireland (CBI), um dort an frisches Geld zu kommen. Doch die eingereichten Sicherheiten verloren drastisch an Wert, und je tiefer der Marktwert der Papiere sank, desto weniger Geld rückte die CBI dafür heraus. Am Ende fehlten der Depfa 17 Milliarden Euro, die von der irischen Notenbank als  Abschlag erhoben wurden.

Die irische Zentralbank hätte der Depfa in diesem Moment mit einem Notkredit helfen können, ließ sie jedoch hängen. Warum auch sollte die kleine irische Notenbank einer Bank aus der Patsche helfen, für die am Ende die deutsche Muttergesellschaft HRE haften würde? So schwappte die Krise nach Deutschland: Plötzlich benötigte die Muttergesellschaft HRE schnell viel Geld, um die Depfa zu finanzieren — und sich selbst über Wasser zu halten. Weil es aber auch HRE-Chef Georg Funke nicht gelang, die Milliarden von anderen Banken zu leihen, kam es zu dem legendären Frankfurter Rettungswochenende.

Zumindest der damalige Bundesbank-Chef Axel Weber dürfte dabei gewusst haben, dass es nicht nur um die Zukunft der HRE ging, sondern auch um die Bundesbank und sein Ansehen. Denn ein Zusammenbruch der HRE hätte womöglich zu einem weiteren Werteverfall der UBSV geführt. Und weil die Bundesbank viele der Papiere in ihren Büchern hatte, drohte die Gefahr, dass diese ein Milliardenloch in die Bilanz reißen. Der Bundesbankchef brauchte also ein Mittel, um den Wertverfall der UBSV zu stoppen. So verlangte Weberwährend der Krisensitzung immer wieder eine Garantie der Bundesregierung und der Banken für die Papiere der HRE. Ohne die könne das Eurosystem, also die EZB, keinen Notkredit gewähren, eine sogenannte Emergency Liquidity Assistance (ELA).

Damit verwirrte Weber die Runde doppelt: Zum einen darf die EZB solche Notkredite gar nicht gewähren, eine ELA liegt ausschließlich im Ermessen der zuständigen Zentralbank, in diesem Fall also der Bundesbank- Außerdem verfügte die HRE offenbar über genügend Sicherheiten, um ihr eine solche Kreditlinie zu gewähren — auch ohne Staatsgarantie. »Weber hätte während dieses Wochenendes oder sogar davor eine „Emergency Liquidity Assistance“ für die HRE auflegen können«, sagt ein gut informierter Insider. »Er hätte dafür nur die telefonische Zustimmung der anderen Notenbanken gebraucht. Die hätte er natürlich bekommen.« Ein Experte aus dem Umfeld der EZB bestätigt diese Darstellung. Doch Weber und die übrigen Anwesenden setzten die Staatsgarantie am Ende durch, bis heute mussten die Steuerzahler mit rund 21 Milliarden Euro für die Rettung der HRE einstehen, hat der Grünen Abgeordnete Gerhard Schick errechnet. Von der Möglichkeit, stattdessen einen Notkredit der Bundesbank aufzulegen, hat der damalige Finanzminister Peer Steinbrück nach eigenen Angaben nie erfahren. »Wenn auch nur einer der Fachleute aus den genannten Bereichen mir das Instrument einer ELA als grundlegende Therapie vorgeschlagen hätte, wäre dies mit Sicherheit geprüft worden. Das erfolgte aber nicht«, erklärt er heute.

Warum Weber, Sanio und Lautenschläger diesen Weg nicht vorschlugen, bleibt ihr Geheimnis. Keiner der damals Beteiligten will sich zu den Vorgängen vom letzten Septemberwochenende 2008 äußern. Die Staatsgarantie kaschierte ihre eigenen Fehler — und half gleichzeitig der Deutschen Bank und anderen deutschen Kreditinstituten. Denn die Kurse ungedeckter Bankschuldverschreibungen erholten sich unmittelbar nach der HRE-Garantie.

Bleibt am Ende die Frage, warum die BaFin und die Bundesbank das System der  ungesicherten Wertpapiere überhaupt so lange toleriert haben. Die ständig wachsende Zahl von UBSV hätte gerade Sabine Lautenschläger auffallen müssen, die damals Leiterin der Abteilung BAI und damit für die »Aufsicht über Großbanken und ausgewählte Kreditbanken« zuständig war. Ihr tatenloses Zuschauen begründet die BaFin heute damit, dass zu der Zeit ein anderer Aufsichtsansatz verfolgt wurde. Man habe sich »zu sehr auf einzelwirtschaftliche Gesichtspunkte gestützt« und »gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge vernachlässigt«. Dies sei jedoch ein weltweites Phänomen gewesen. Auch die Bundesbanker unternahmen nichts, obwohl das Regelwerk der Eurozone das durchaus erlaubt hätte. »Die Aufsicht hat offensichtlich vor der Krise versagt, denn sie hat die systemischen Risiken wohl nicht erkannt. Das betrifft die Bafin, aber auch die Bundesbank, insoweit sie daran mitzuwirken hafte«, sagt Finanzexperte Volker Wieland, einer der fünf Wirtschaftsweisen. Die EZB zumindest hat ihre Lehren aus dem Vabanquespiel mit den UBSV gezogen. Heute spielen die gefährlichen Papiere bei Geldgeschäften mit Notenbanken des Eurosystems fast keine Rolle mehr, ihr Einsatz wurde durch zahlreiche EZB-Regeln drastisch eingeschränkt.

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