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Deutsche Industrie: Von der Konjunktur- in die Strukturkrise

Ganz so heiß, wie gekocht wird, wird nicht gegessen – besagt ein altes Sprichwort. So gab es bereits 2009 warnende Worte vom Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, die da lauteten: „Die deutsche Industrie steuert trotz positiver Konjunktursignale auf eine Phase harter Einschnitte zu. „Viele Betriebe rutschen inzwischen von der Konjunkturkrise in eine Strukturkrise“. Allerdings sehen viele diese Entwicklung als Chance, den Wandel zu unterstützen und wirtschaftliches „Neuland“ zu betreten. Es wird darum gehen, sich den neuen Herausforderungen zu stellen und sich nicht an alte Erfolge zu klammern.

Den Deutschen wird allmählich mulmig. Nach bald zehn Jahren Daueraufschwung sieht es so aus, als ziehe eine Strukturkrise herauf. Und sie geht vom stolzesten Sektor aus, den die Republik zu bieten hat: von der Industrie. Kein anderes hoch entwickeltes Land verfügt über ein so großes verarbeitendes Gewerbe. Gerade deshalb hat Deutschland von der Globalisierung enorm profitiert: Maschinenbau, Chemie, Auto — die deutsche Wirtschaft hat all das im Angebot, was Schwellenländer wie China brauchen und andere reiche Volkswirtschaften kaum noch produzieren.

Doch nun mehren sich die Krisensymptome. Seit Monaten gehen die konjunkturellen Frühindikatoren zurück. Dazu kommen strukturelle Verschiebungen: Die Industrialisierung der Schwellenländer ist so weit fortgeschritten, dass der Bedarf an Investitionsgütern abflaut. Höherwertige Produkte können nun auch problemlos vor Ort hergestellt werden. Donald Trumps Handelskrieg trifft die deutsche Wirtschaft ins Herz. Die exportlastige Industrie ist hochgradig anfällig für die Eskalationsspirale. Technologische Entwicklungen bedrohen traditionelle deutsche Stärken und bringen neue Wettbewerber ins Spiel. So macht die Abkehr vom Verbrennungsmotor der Autoindustrie zu schaffen. Die Digitalisierung, insbesondere die Ausbreitung der künstlichen Intelligenz, verschafft US-Datengiganten wie Google, Facebook und Amazon Wettbewerbsvorteile.

Deutsche INDUSTRIEKONZERNE sind in die Defensive geraten. Niedrige Firmenbewertungen haben sie ins Visier aktivistischer Investoren gerückt, die sie zerschlagen wollen — wie im Fall ThyssenKrupp. Siemens spaltet sich gleich selbst auf. Währenddessen versuchen chinesische Konzerne hierzulande Schlüsselkompetenzen aufzukaufen — mit Rückendeckung aus Peking.

Was jetzt? Brauchen wir eine aktivere Industriepolitik, womöglich einen Masterplan für die kommenden Jahre und Jahrzehnte? Und wenn ja, wie sollte eine solche Strategie aussehen?

An Programmen herrscht wahrlich kein Mangel. Die EU-Kommission ist um eine „intelligente, innovative und nachhaltige Industrie“ bemüht. Die Bundesregierung fordert ein „neues strategisches Ziel“ für den Fertigungssektor im Jahr 2030. Eine Gruppe von EU-Staaten, die sich „Friends of Industry“ nennt, trifft sich regelmäßig, um entsprechend Druck zu machen. Viel Wortgeklingel, wenig Substanz.

Für eine zukunftsorientierte Industriepolitik gibt es allerdings Alternativen in der Ausrichtung: Erstens: den Wandel beschleunigen, nicht aufhalten. Wenn Sättigungstendenzen in den Schwellenländern und Handelskonflikte die Zukunft bestimmen, dann ist es geradezu gefährlich, den Anteil der industriellen Wertschöpfung noch steigern zu wollen, wie die EU sich das zum Ziel gesetzt hat. Es führt kein Weg daran vorbei: Branchen und Unternehmen, über die die Zeit hinweggegangen ist, müssen schrumpfen und notfalls verschwinden.

Zweitens: Mehr Wissen für alle bereitstellen. Industriepolitik sollte nicht versuchen, nationale und europäische Champions zu kreieren oder gezielt Technologien zu fördern. Das geht allzu häufig schief. Airbus als politisch getriebenes Industrieprojekt ist ein rarer Erfolgsfall. Erfolgversprechender wäre es, Investitionshemmnisse in der Breite der europäischen Wirtschaft zu beseitigen. Mehr staatliches Geld für Forschung und Innovation wäre ebenfalls gut angelegt; Institutionen nach dem Vorbild der deutschen Max-Planck-Gesellschaft und der Fraunhofer-Institute könnten Europas Wirtschaft insgesamt voranbringen. Viele Ökonomen gehen inzwischen davon aus, dass die Quellen künftigen Wohlstands in der Schaffung intelligenter immaterieller Wirtschaftsgüter wie etwa Software und Patente liegen — und nicht in der Produktion von immer mehr physischen Waren. Leider liegt Deutschland in dieser Disziplin ziemlich abgeschlagen auf den hinteren Rängen. Führend ist Schweden. Und so zählen die Skandinavier, anders als die Bundesrepublik, auch nicht zu den „Friends of lndustry“.

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