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Wie Österreich zu Europas führender Wasserstoff-Nation werden will

Gigantische Perspektiven, aber kaum Infrastruktur – weder in der Fertigung noch in der Verteilung: Was die Nutzung von Wasserstoff als Energieträger angeht, unterscheidet sich Österreich kaum von seinen Nachbarländern. Nun hat die Alpenrepublik die Flucht nach vorn angetreten und will seinen Strom schon 2030 vollständig aus erneuerbaren Quellen beziehen. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt die Industrie auf Wasserstoff als zentrale Säule. Dabei versetzen Wasserkraftwerke mit einem Strommixanteil von jetzt schon 75 Prozent das Land in eine weit bessere Startposition als Deutschland sie je hatte. Für die Schließung der verbleibenden Lücke haben sich vor wenigen Tagen drei der größten Konzerne Österreichs zusammengetan. Der Stahlkonzern Voestalpine, der Stromerzeuger Verbund AG und das Öl- und Gasunternehmen OMV haben das Ziel postuliert, die Alpenrepublik zu Europas Wasserstoff-Pionier zu machen. So schnell wie möglich wollen die drei Akteure das Thema vorantreiben – und zwar gleich mit mehreren Projekten. Für den Start eines ersten Pilotprojekts ist schon das Jahresende vorgesehen. Die in Zürich ansässige Vista Holding Group mit ihrem Investitionsschwerpunkt LNG (verflüssigtes Erdgas) verfolgt diese Initiative mit großem Interesse. Die Schweizer Investmentgesellschaft engagiert sich im Ausbau der Netzinfrastruktur für LNG (Liquified Natural Gas).

„Die Welt hat ihren Energiehunger rund 170 Jahre aus fossilen Energieträgern gestillt. Jetzt kommt die nächste Revolution“ sagte Wolfgang Anzengruber, Vorstandsvorsitzender der Verbund AG, im Gespräch mit dem Handelsblatt in Wien. „Wenn wir in Richtung erneuerbare Energie gehen, können wir auf Wasserstoff nicht verzichten.“ Die Volatilität gerade bei Sonne und Wind erfordere Speicher für erneuerbare Energien. Wasserstoff schaffe diese Möglichkeit, ist Anzengruber überzeugt.

Die Marke von 75 Prozent erneuerbarer Energie aus Wasserkraft scheint dabei nicht mehr steigerungsfähig, denn neue Pumpspeicherkraftwerke sind im Nachbarland politisch kaum noch durchsetzbar. Österreich braucht deshalb zur Steigerung neue Speichermöglichkeiten für den grünen Strom.

Der nun verfolgte Ausweg heißt: Wasserstoff. Elektrolyse macht aus Wasser die zwei Grundstoffe Sauerstoff und Wasserstoff. Bei Verwendung nachhaltig erzeugten Stroms ist das ein klimaneutrales Geschäft und ein leicht speicherbares Produkt. Weiterer Vorteil dieser Technik ist die dezentrale Erzeugbarkeit. Dieser Wasserstoff kann unter anderem bei Bedarf wieder in Strom umgewandelt und ins Netz eingespeist werden. Wasserstoff ist auch der umweltfreundliche Treibstoff für Brennstoffzellen – für die es allerdings noch am Tankstellennetz mangelt. Wasserstoff als Grundelement ist vielfältig nutzbar und kann wesentlich mehr, zum Beispiel als Rohstoff in der Chemie. So dient Wasserstoff auch als Grundstoff zur Herstellung anderer klimaneutraler Brennstoffe wie künstliches Erdgas (Methan) oder als Treibstoff für Kraftfahrzeuge.

„Wasserstoff kann beispielsweise Kohle in der Stahlerzeugung ersetzen oder er kann für Bahn, Lastwagen und Autos eingesetzt werden“, bemerkt Vorstandschef Anzengruber. Wasserstoff als auch Methan können dabei einen erheblichen Beitrag leisten zur angestrebten Einsparung von Kohlendioxid. Methan könnte als zentraler Vorteil über ein schon vorhandenes Erdgastankstellennetz oder LNG-Netz vertrieben werden. Erdgastankstellen sind bereits in weit höherer Anzahl in Europa vorhanden als Wasserstofftankstellen. Darüber hinaus kann es verflüssigt und unabhängig von Tankstellen verwendet werden. Die Herstellung von Methan aus Wasserstoff ist allerdings mit erheblichen Effizienzverlusten verbunden.

„Wasserstoff ist nicht allein selig machend, doch es ist ein wichtiges Bindeglied auf dem Weg zu einem ganzheitlich erneuerbaren Energiesystem“, sagte Anzengruber dem Handelsblatt weiter. „Wir wollen unsere Wertschöpfungskette um den Wasserstoff verlängern.“

Zunächst strebt der Verbund eine engere Verzahnung mit der österreichischen Industrie an, etwa mit OMV und Voestalpine. Gemeinsam könnten die drei Großakteure den Betrieb einer Wasserstoffanlage managen, um dann grünen Wasserstoff als Energiespeicher zu nutzen. Dafür ist von Verbund und OMV an die Errichtung einer elektrolytischen Wasserstofferzeugung in der Wiener Raffinerie Schwechat gedacht.

„Derzeit ist Wasserstoff als alternativer Kraftstoff im Verkehrssektor noch sehr weit von einer Markteinführung entfernt“, schreibt das österreichische Umweltbundesamt auf seiner Internetseite und führt weiter aus: „Nahezu sämtliche infrastrukturelle Einrichtungen die für eine Etablierung des Kraftstoffes im Verkehrssektor notwendig wären, wie die Wasserstoff-Produktion, der Transport und die Verteilung, sind in Österreich nicht vorhanden.“ Schon das mutmaßliche Erstellungsdatum der Seite im Jahr 2014 erlaubt Vermutungen zur bisherigen Bedeutung des Themas von staatlicher Seite in dem Alpenland. Dem setzt die Initiative der Industrie ein Ende.

Flaschenhals ist auch im Nachbarland nach wie vor das Fehlen einer flächendeckenden Wasserstoff-Versorgungsinfrastruktur für den Kraftverkehr. Die ist auch nicht in wenigen Jahren zu errichten. Diese Parameter machen Wasserstoff noch sehr viel teurer als Elektromobilität. Umwandlung in Methan und Vertrieb über das LNG-Netz stehen da als erprobte und alltagstaugliche Brückentechnologie bereits in den Startlöchern.

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