Mitteldeutsches Journal

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Global Politik

Wer sind die Unterstützer von Emmanuel Macron?

Im März saß Denis Sommer nachdenklich im Rathaus von Grand-Charmont. Er fragte sich, ob die alte Linke ihre Versprechungen noch erfüllen kann.

Vor dem Kleinstadtbürgermeister, Mitglied der sozialistischen Partei, lag ein Brief seiner Genossen und einer von Emmanuel Macron. Beide baten um Unterstützung für die Präsidentschaftswahl. Sommer stammt aus einer Arbeiterfamilie der Region. Wie sein Vater hatte er am Band des Peugeot-Stammwerks im ostfranzösischen Sochaux angefangen, er wurde Anführer der kommunistischen Gewerkschaft CGT in der Fabrik. Sommer behielt die Sache der Arbeiter und kleinen Leute im Sinn, auch als er auf dem zweiten Bildungsweg Wirtschaft studierte und Bürgermeister im Nachbarort wurde. Mit dem Niedergang des Werks ging es auch hier bergab. Sommer stemmte sich dagegen. Er ließ Arbeiterwohnblöcke mithilfe der Bewohner aufmöbeln, siedelte neue Unternehmen an. Er war zu dem Schluss gekommen, dass man mit den gewohnten Verteidigungsreflexen den Leuten nicht mehr weiterhilft. „Das alte Sozialmodell ist ihnen heilig, aber es funktioniert nicht mehr“, sagte er im März. Schon als Gewerkschaftsführer hat Sommer lieber Abkommen mit der Geschäftsleitung ausgeknobelt  als Blockadeaktionen geplant. Irgendwann dämmerte ihm: „Macron hat auf nationaler Ebene vor, was wir im Kleinen gemacht haben.“ Nun sitzt Sommer für Macrons „En Marche ! „Bewegung in der Nationalversammlung. Erst nach der Präsidentenwahl hat er die Sozialisten endgültig verlassen. „Macrons Ansatz passt am besten zu der Vorstellung, die ich von Politik hatte“, sagt er. Etwa dass Macron 15 Mrd. in die Weiterbildung von Arbeitslosen stecken will. Vor allem aber, dass er verhandelt, die Gewerkschaften einbinden will, Kompromisse sucht. „Nicht an alte soziale Sicherungssysteme klammern, lieber neue schaffen, die funktionieren.“ In einer kleinen Stadt kann ein Bürgermeister viel erreichen, als einer von 577 Abgeordneten muss Sommer erst einmal lernen: orientieren, Verbündete suchen, Ideen ausbrüten.

Eben hat er zwei Konzeptpapiere fertig, Zukunft der Sozialversicherung. Es muss schnell gehen. „Die Leute haben nicht mehr viel Geduld“, sagt Sommer.

Jean-Francois Cesarini braucht erst einmal eine Cola. „Aber nicht light“, sagt er, er muss nämlich zunehmen. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass Cesarini für Macron sein Leben riskiert hat. Am Nachmittag seiner Wahl zum Abgeordneten kam er mit einer verschleppten Bauchfellentzündung in die Klinik. Im Wahlkampf hatte Cesarini die Warnungen der Ärzte ausgeschlagen. Es stand Spitz auf Knopf. Zum Glück hat er überlebt, aber abgemagert ist er immer noch. „Das war idiotisch“, sagt er. „Aber es war auch nötig.“ Cesarini ist zwar promovierter Philosoph, Spezialgebiet Existenzialismus, aber sonst nicht so für das Fatalistische. Sein Geld hat Cesarini nicht damit gemacht, sondern als Chef und Eigentümer eines Immobilienentwicklers. Nebenbei hob er eine Initiative aus der Taufe, um benachteiligten Jugendlichen Digitalwissen beizubringen, und half Start-ups. Eines Tages kam der damalige Minister Macron, um die lokalen Digital-Initiativen zu besuchen, und versammelte nach der Rede eine kleine Runde von Aktivisten. „Irgendwann werde ich Politik machen“, sagte er laut Cesarini. „Seid ihr dabei?“ Das war die Methode, mit der der heutige Präsident einen Großteil seiner Anhänger rekrutiert hat. Cesarini war sofort begeistert. Sein Wahlkreis liegt im Kernland des Front National. Wenn es Macron nicht schaffe, Frankreichs Strukturen einzureißen, dann seien die Extremisten in fünf Jahren stärker als zuvor, warnt Cesarini — so wie es in den USA nach der ObamaEuphorie den Trump-Schock gab.

„Wir müssen das Hinterland der Globalisierung entwickeln“, fordert der Neu-Abgeordnete. Sein Plan: Die zentralistischen Strukturen zerschlagen, digitale Kompetenz und Unternehmen in die Provinz holen. Ob Macron, der zum Start Gefallen an der Allmacht des Präsidentenamts zu finden scheint, dabei mitziehen wird? Cesarini  glaubt es. „Der einzige Plan B ist die Herrschaft des FN“, so Cesarini. Die neue Mehrheit, glaubt er, seien Leute, die an die Macht des Voranpreschens glauben. Das funktioniere nur, wenn Macrons Bewegung eine „Ideenmaschine“ bleibe. „Man kann nicht in fünf Jahren das ganze Land verändern“, sagt er. „Aber wir können seine Funktionsweisen anpassen.“

Natürlich sei Politik nicht Projektmanagement, sagt Huguette Tiégna. Aber manches sei übertragbar: Klappt Plan A nicht, dann eben Plan B. „Ergebniskultur“, sagt sie. Tiégna hat ihr Verständnis von Politik aus dem Start-up Whylot mitgebracht. Sie wurde in Burkina Faso geboren und kam erst 2009 mit einem Diplom in Elektrotechnik nach Frankreich. Nach der Promotion heuerte die Ingenieurin bei Whylot an, fünf Patente tragen ihren Namen, sie entwickelte platzsparende und effiziente Elektromotoren für Windräder und E-Autos. 2015 kam Minister Macron die Firma im Südwesten des Landes besuchen und nahm sich anschließend Zeit, mit den Erfindern zu diskutieren.

Als Macron seine Bewegung gründete, war Tiégna im Departement Lot an vorderster Front dabei. Ihre Familie in Burkina Faso sei immer noch überrascht, erzählt sie. Die erste Woche im Parlament sei „pure Emotion“ gewesen, nun aber gehe sie daran, systematisch ihre Pläne umzusetzen. Sie will dafür sorgen, dass auch Firmen in der ProVinz in die Digitalisierung investieren. „Dafür ist es wichtig, dass die Arbeitsmarktreform schnell kommt, sonst können sie keine neuen Leute einstellen.“ Entschlossen schreitet Tiégna auf die Drehtür der Nationalversammlung zu und hebt ihren Deputiertenausweis. Es sieht fast schon nach Routine aus. Bis zur Wahl hat sich alles in seinem Leben um die Fliegerei gedreht. Jean-Baptiste Djebbari ist Pilot, vor zwei Jahren wollte er eine Regionalfluglinie aufziehen. Dafür ergatterte er einen Termin beim damaligen Minister Macron — und gehörte sofort zu dessen Jüngern, auch wenn er den Personenkult um ihn einmal in einem Blogartikel anprangerte. Aber Macrons Idee, dass man die Kräfte des Landes nur entfesseln müsse, inspirierte Djebbari. Er vertritt seine Heimat Limousin, wo die berühmten breitschultrigen Rinder grasen. Die Bauern dort haben es nicht leicht, sie werden oft zu Sozialfällen. Auch des für eines von Macrons Schlüsselprojekten: Die Arbeitslosenversicherung soll staatlich finanziert werden und auch Selbstständigen Stütze und Weiterbildung bieten. Vor Macron fehlte dem Flieger die politische Heimat: „Meine linken Freunde hielten mich für konservativ, meine konservativen Freunde für einen Linken.“ Nun hat Djebbari eine neue Bettlektüre: den Briefwechsel zwischen Alexis de Tocqueville und Alphonse de Lamartine, die nach der Februarrevolution 1848 politisch aktiv waren. „Die führen genau die Diskussionen, die wir jetzt haben“, sagt der Deputierte: Wie hält man seinen Idealismus wach, wie seine Werte? Der Pilot Djebbari weiß, wie schnell Auftrieb abbrechen kann.

Es wäre das perfekte Forschungsobjekt: Was jetzt in Frankreichs Politik passiert, passt zum Spezialgebiet von Valérie Petit. Die Professorin, die Unternehmensführung an der renommierten EDHEC Business School in Lille lehrt, befasst sich mit „Transformation in Leadership“: Wie kann Führung schneller, digitaler, demokratischer funktionieren? Eigentlich wollte Petit schon vor 20 Jahren in die Politik. Sie war kurz bei den Grünen. „Autoritär.  Sklerotisch. Sexistisch“, schloss sie frustriert. Die Frau, die in einem Pariser  Arbeitervorort als Kind einer Mutter aus dem Schwarzwald aufgewachsen ist, studierte Wirtschaft, wurde Unternehmensberaterin und erhielt mit 29 ihren ersten Lehrstuhl. Erst als Macron seine Bewegung gründete, hatte sie das Gefühl, „dass Politik am Ende doch noch ein Mittel der Veränderung werden kann“.

Im Januar saß sie mit ihrem Mann im Café und regte sich auf, wie auch bei „En Marche! “ schon wieder vieles totdiskutiert wurde. Der Gatte: „Mach du doch!“ Sie schickte – wie alle späteren Kandidaten – Bewerbung und Lebenslauf an den Auswahlausschuss und wurde genommen. Petit glaubt, dass Macron nicht mit seinen Zielen gewinnen kann, sondern mit seiner Methode. Das Drängendste seien nicht Sozialreformen oder Schuldenziele. Sondern dass Macron es schafft, dass die Leute wieder an die Möglichkeiten der Demokratie glauben. „Wenn sie wieder Vertrauen fassen, ist das die halbe Miete.“ Wenn Politiker wieder aus dem richtigen Leben kommen, wenn sie – wie Petit selbst — wissen, was in den Betrieben passiert, wenn sie an die Basis gehen — vielleicht glauben ihnen die Wähler wieder. Deshalb kämpft Petit dafür, dass das Parlament wieder mehr Einfluss bekommt. Im Sozialausschuss sitzen sie jetzt schon fast täglich zusammen, um das Sozialpartnerschaftsgesetz voranzubringen. Es ist für die Reformpolitik entscheidend, weil es Gewerkschaften und Arbeitgeber an einen Tisch zwingt. Vor Ort übrigens seien die berüchtigten französischen Gewerkschafter gar nicht so fundamentalistisch, sagt Petit. Und die Basis, die Wähler lassen nicht locker.

 „Die schreiben ständig Mails und erwarten jetzt schon Ergebnisse.“

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