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Absender NSU 2.0: Wer verschickt laufend Drohbriefe?

Am 25. Juli 2020 wurde illegal die Meldeadresse des Moderators und Satirikers Jan Böhmermann auf einem Polizeicomputer abgefragt. Im August diesen Jahres bekam er daraufhin ein rechtsextremes Drohschreiben zugeschickt, welches mit dem Kürzel „NSU 2.0“ unterschrieben wurde. Auch die Comedian Carolin Kebekus und der Fernsehmoderator Christian Ehring erhielten solche E-Mails. Im Schreiben werden sie als „volksschädig“ und „Ungeziefer“ beschrieben und Unbekannte drohen damit, „dass Blut fließen werde“, so die Frankfurter Rundschau.

Neue Ermittlungen der Polizei ergaben, dass es sich bei der Abfrage der Adresse von Jan Böhmermann angeblich um einen dienstlichen Anlass gehandelt haben soll. Der Polizeibeamte habe von Berlin aus die Daten abgerufen, da eine Anzeige vorlag. Ob sich die vermeintliche Anzeige gegen Böhmermann richtete oder ob er sie selber gestellt hat, war dem Beamten nicht mehr geläufig. Die Berliner Polizei erklärte wenig später auf Twitter, dass die Abfrage mit „protokolliertem Abfragegrund inkl. Begründung, Abfrageparameter, individueller Zugangserkennung & Computererkennung“ stattgefunden habe und es sich somit um eine gerechtfertigte dienstliche Abfrage handle. Das Verfahren gegen die unbekannten Täter*innen, die ihre Drohschreiben mit „NSU 2.0“ unterzeichnen, läuft derzeit in der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Der Berliner Beamte kommt laut der Polizei nicht als Verdächtiger infrage. Eva Kühne-Hörmann, Hessens Justizministerin, gab bekannt, dass „diverse weitere Abfragen zu Personen durch Polizeicomputer“ stattgefunden haben sollen. Nach Aussage vom SPIEGEL sind den Ermittler*innen „mehr als ein Dutzend neuer Schreiben“ bekannt, insgesamt 105. Unter anderem erhielten auch die taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah, die Kabarettistin Idil Baydar und Janine Wissler, Politikerin bei den Linken, einen derartigen Brief. Die Staatsanwaltschaft führt derzeit 25 Ermittlungsverfahren gegen rund 50 Beschuldigte, unter ihnen auch Polizeibeamt*innen. Laut Stefan Müller, dem innenpolitischen Sprecher der FDP-Fraktion gehen die Ermittlungen nur schleppend voran. Während den Nachforschungen „seien erneut persönliche Daten Prominenter von Polizeicomputern abgerufen worden“, so die ZEIT. Außerdem wurden illegale Abfragen erst verzögert an die Datenschutzbeauftragten gemeldet.

 

Seda Basay-Yildiz eine Rechtsanwältin aus Frankfurt, hatte bereits im August 2018 einen Drohbrief per Fax erhalten, der ebenfalls mit „NSU 2.0“ unterzeichnet wurde. Später stellte sich heraus, dass auch ihre Daten von einem Polizeicomputer abgerufen wurden. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt wer ihr die Schreiben schickte. Die Anwältin vertritt „Angehörige eines Mordopfers des NSU und von drei der Getöteten in Hanau“, so der tagesspiegel. Seda Basay-Yildiz erklärte der Frankfurter Rundschau, wie es ihr in der Zeit nach den Schreiben erging: „Für mich persönlich hat sich nichts verändert. Aber natürlich wird jetzt mehr über Extremismus im öffentlichen Dienst geredet. Ich finde diese Diskussion wichtig für unsere Gesellschaft. Eigentlich hätte das schon viel früher Thema sein müssen.“ Wer die Drohbriefe schickt, bleibt anscheinend noch länger unklar und auch auf weiterführende Ermittlungen ist nun zu warten. Bisher sieht es ganz danach aus, als wären einige Polizeibeamt*innen in den Fall als Täter*innen verwickelt.

Die Abkürzung NSU steht für die rechtsextreme terroristische Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“, der zwischen dem Jahr 2000 und 2007 insgesamt neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin töteten. Die Gruppierung bestand hauptsächlich aus 3 Täter*innen. Die beiden Täter Mundlos und Böhnhardt starben 2011 bei einem erweiterten Suizid nachdem sie mitbekamen, dass die Polizei sie gefunden hatte. Beate Zschäpe, 3. Beteiligte, stellte sich kurz daraufhin der Polizei in Jena und wurde 2018 als Mittäterin zu lebenslanger Haft verurteilt. Die NSU-Morde wurden jahrelang aufgearbeitet und von zahlreichen Journalist*innen und Autor*innen hautnah dokumentiert. Ende September diesen Jahres wurde in Jena ein Platz nach dem ersten Todesopfer der NSU-Anschläge benannt. Der „Enver-Simsek-Platz“ befindet sich im Stadtteil Winzerla, in dem die Täter*innen der Terrorgruppe aufgewachsen sind. Enver Simsek wurde 2000 in Nürnberg erschossen, während er an seinem Blumenstand arbeitete. Der gesamte Umgang mit den Angehörigen der Opfer und die allgemeine Aufklärung der NSU-Morde wurde allerdings immer stark von der Presse und einigen Politiker*innen kritisiert. Ähnlich wie jetzt im Fall der „NSU 2.0“ Drohbriefe verliefen die Ermittlungen eher schleppend und verzögert. Sind es nun einfach „Trittbrettfahrer“ oder reale NSU-Sympathisanten, die den Staat und die öffentliche Sicherheit auf den Prüfstein stellen wollen.

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