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Politik

AKK: Nach der Wahl ist vor der nächsten Herausforderung

Für Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) war die Wahl zur CDU-Chefin nur ein erster Schritt, aber die Kanzler-Kandidatur ist bereits die nächste Herausforderung für sie, denn da ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Erst einmal hat sie nun die Chance sich zu beweisen und ihren Worten Taten folgen zu lassen. Dennoch sitzt ihr Friedrich Merz dicht im Nacken und die Rolle als Kanzler/in muss sorgfältig gewählt und vergeben werden. Im Fahrwasser von Angela Merkel weiterzumachen wie bisher, ist für Deutschland keine Option. Wir müssen viele Dinge umkrempeln, wir brauchen Reformen und „alte Zöpfe“ müssen unbedingt abgeschnitten werden. Hier müssen sehr viele Politiker aus der Komfort-Zone heraustreten und hart arbeiten. Allen voran Kramp Karrenbauer, die sich nicht lange auf den Lorbeeren des Wahltriumpfes ausruhen sollte.

Noch lebt und arbeitet sie unter dem Eindruck ihres Sieges und mit den Emotionen ihrer Parteifreunde, aber Deutschland hat viel zu lange in seiner politischen Mittelmäßigkeit gedümpelt, als das man es langsam angehen lassen könnte. Trotzdem darf man gerne noch einmal den Blick zurück wenden: AIs der Moment des Sieges da war, schossen ihr die Tränen in die  Augen. Für einige unendlich lange Momente ließ sie sich in die Arme ihres Ehemannes Helmut fallen. Und dann stand Annegret Kramp-Karrenbauer plötzlich oben. Klein und fast zerbrechlich wirkte sie auf der riesigen Bühne und dankte der CDU, der Partei, die sie gern „unsere gemeinsame Familie“ nennt. So viel Rührung wie in jenen Augenblicken in der Messehalle zu Hamburg hat die Republik lange nicht erlebt. Erst recht nicht in der eher spröden Ära Merkel. Vielen stockte der Atem angesichts des Politdramas: Zu besichtigen war ein Machtkampf auf offener Bühne. Mann gegen Frau, Vergangenheit gegen Zukunft. Die Weltläufigkeit der Hochfinanz gegen selbstbewusst gelebte Bodenständigkeit.

Blackrock gegen Püttlingen.

Und Püttlingen hat gewonnen. Die alte CDU, die sich am liebsten wegbeamen möchte aus der Merkel-Zeit, zurück in die Gewissheiten von einst, sie hatte für ihren Kandidaten Friedrich Merz alles aufgeboten, am Ende sogar die Autorität des Übervaters Wolfgang Schäuble. Kramp-Karrenbauer warf sich dem entgegen, mit allem, was sie hat. Merz hielt eine verzagte Rede, immer mit halbem Blick auf die Konkurrenz von der AD. Sie beschwor den Mut und den  Stolz der großen Partei. „Wir können das! Wir wollen das! Und wir werden das!“ Ihre Frauenstimme schepperte förmlich durch den Parteitagssaal — und landete mitten im Herz der CDU. Das war, man kann es nicht anders sagen: ganz großes Kino.

Jetzt steht die Siegerin vor gewaltigen Herausforderungen. Sie muss dafür sorgen, dass die Partei nicht zerbricht. Der Machtkampf hat gezeigt, wie tief der Riss ist zwischen den Merkel-Anhängern, die eine moderne, weltoffene und angegrünte CDU wollen — und jenen, die von einer Rückbesinnung auf traditionell konservative Werte wie Familie, Heimat, Sicherheit träumen. Dieser Merz-Flügel, in Hamburg fast die der Delegierten, wird auf Dauer nur einzubinden sein, wenn AKK eine Strategie findet für den Kampf gegen die AfD. Die Neue muss aber auch Wähler den Grünen zurückholen, die immer  erfolgreicher im Unionsmilieu wildern. Und sie muss den Deutschen eine Vorstellung davon vermitteln, was das heißen würde: eine Bundeskanzlerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Denn diesen Job, der spätestens 2021 frei wird, muss man sich schon zutrauen, wenn man der Partei vorsteht, die einst ein Konrad Adenauer oder ein Helmut Kohl führten.

Was für eine Regierungschefin bekäme die Republik? Ist sie wirklich die Fortsetzung der Ära Merkel, nur mit saarländischen Mitteln, wie ihre Gegner gern ätzen? Hat sie die Härte und das Stehvermögen für das Amt der Kanzlerin? „Die Annegret ist sehr ehrgeizig“, sagt Karl Rauber. „Die kommt immer so nett daher. Aber sie weiß genau, was sie will.“ Rauber ist ein Urgestein der Saar-CDU, viele Jahre leitete er die Staatskanzlei in Saarbrücken. Den Aufstieg von AKK hat er aus nächster Nähe beobachtet — und gefördert. Er kann sich noch gut an eine Episode erinnern, die 18 Jahre zurückliegt, aber sehr viel über AKK aussagt.

Damals suchte die CDU-Regierung an der Saar einen neuen Innenminister. Die Wahl fiel auf ein junges Talent, das schon einen Platz im Landtag erobert hatte: Annegret Kramp-Karrenbauer. Rauber wurde vorgeschickt, um die Kandidatin zu überreden. Er war skeptisch, sie war erst 38 Jahre alt und hatte zu Hause drei Kinder. „Das ist eine Riesenchance für dich, Annegret“, sagte Rauber. „Tu mir einen Gefallen: Sag jetzt bitte nicht Nein.“ Kramp-Karrenbauer schaute Rauber etwas verwundert an. Dann fragte sie zurück: „Warum sollte ich Nein sagen?“ Wenige Wochen später war sie Innenministerin. Die jüngste in der Geschichte der Republik, die erste weibliche überhaupt. Warum sollte sie Nein sagen? Annegret Kramp-Karrenbauer hat ihr ganzes politisches Leben lang viel lieber Ja gesagt. Ja zu den Ämtern als Innen-, Bildungs- und Arbeitsministerin im Saarland, Ja zum Amt der Ministerpräsidentin, Ja jetzt auch zum CDU-Vorsitz. Wenn sich die Chance auf Macht und Einfluss bietet, dann greift sie zu.

Sie kommt sehr unprätentiös daher, mit ihrer praktischen Kurzhaarfrisur und ihrem Dialekt aus der Provinz. Daher wurde sie immer schon gern unterschätzt. Das hat sie mit einer Mischung aus Verwunderung und Verärgerung zur Kenntnis genommen. Aber es hatte auch Vorteile: Während die anderen  noch mit dem Unterschätzen beschäftigt waren (oft Männer), hatte sie auf der Karriereleiter die nächste Sprosse erklommen.

Das Prinzip der Provinz

So richtigweiß allerdings bis heute keiner in der CDU, wofür sie eigentlich steht und wo sie die Partei hinführen will. Noch ist Annegret Kramp-Karrenbauer nicht mehr als ein Hoffnungswert. Püttlingen ist ein schönes, kleines Städtchen mit knapp 19000 Einwohnern, das sich links und rechts des Köllertales entlangzieht. Die Gastwirtschaften heißen „Ratskeller“ oder „Zum Landsknecht“, und sie haben eine Bundeskegelbahn. In zehn Autominuten ist man schon in Frankreich. Die Kramp-Karrenbauers bewohnen ein   kleines Eigenheim oberhalb des Ortes, das Dach ist mit Solarmodulen gepflastert, von der Terrasse aus hat man einen schönen Blick ins Tal. Es ist eine konservative Gegend, geprägt durch katholischen Glauben und solidarische Bergmannskultur. Jeder  kennt jeden. Im weichen Singsang des „Pittlinger Platt“ ist Annegret Kramp-Karrenbauer nur „’s Annegret“. „Meine Frau hat ’s Annegret gestern noch getroffen“, erzählt Martin Speicher, der CDU-Bürgermeister. „Oben am Wald, da war sie joggen, mit ihrem Hund.“ Schon mit 18 trat „’s Annegret“ in die CDU ein, Speicher kann sich an die Anfänge erinnern. „Wir waren die jungen Wilden. Wenn die Alten sagten ,Das haben wir immer schon so gemacht‘, sagten wir: ,Genau! Und wir wollen das jetzt eben anders machen‘.“ Mit 21 ging Kramp-Karrenbauer bei der Listenaufstellung für den Stadtrat in die   Kampfkandidatur gegen einen alteingesessenen Parteifreund. Sie wollte tatsächlich etwas anderes: ein Jugendzentrum für Püttlingen und eine ehrenamtliche Arbeitsloseninitiative. Und sie gewann: „Diese Zielstrebigkeit, die hatte sie schon damals“, sagt Speicher.

Biografie als politische Botschaft

Die Verwurzelung in der Provinz der alten Bundesrepublik und in der Kolpinghaus CDU an der Saar — das sind die frühen Prägungen der Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie haben ihren langen Aufstieg begleitet. Und sie wirken bis heute fort. Als sie vor Jahren von den Karnevalisten in Aachen den „Orden wider den tierischen Ernst“ erhielt, hat sie eine Selbstcharakterisierung versucht und sich als „schwarz lackierte Sozialistin“ und „konservative Quotenfrau“ beschrieben. Geschickt verdichtet AKK jetzt ihre bodenständige Biografie zur politischen Botschaft. „Ich stehe hier so, wie ich bin, und so, wie mich das Leben geformt hat“, rief sie den Delegierten in Hamburg zu. „Und darauf bin ich stolz.“

Angela Merkel war für viele in der CDU bis zuletzt die kinderlose Protestantin, die aus dem Osten kam, fremd und unverstanden. Jeder Modernisierungsschub, den sie der CDU verpasste, wurde von dem Grundmisstrauen begleitet, dass sie die Grundachsen der alten Volkspartei mit einer gewissen Unsentimentalität verschieben wollte. AKK dagegen vermittelt das Gefühl: Ich bin eine von euch. Vor mir muss keiner Angst haben. Diese beiden Sätze sind gleichsam das Püttlingen-Prinzip der neuen Chefin. Sie ist so beruhigend normal. Das Püttlingen-Prinzip gibt ihr Vertrauensvorschuss — und damit politische Spielräume, die Merkel nie hatte.

Sie ist eine Meisterin der Nähe. Ein Wochenmarktbesuch — für die meisten Politiker eher lästige Pflicht im Wahlkampfzirkus — wird mit AKK zum Erlebnis. Alle, wirklich alle, bekommen einen Händedruck, wer nicht aufpasst, auch noch einen zweiten oder gleich eine Umarmung. Geduldig lässt sie den Selfie-Wahnsinn über sich ergehen und fachsimpelt dann auch noch, wie im hessischen Eschwege, minutenlangmit dem Wurstverkäufer: „Wo liegt denn jetzt genau der Unterschied zwischen Eichsfelder Wurst und der in Nordhessen?“ Irgendwann ist nicht mehr ganz klar, wer hier eigentlich herumläuft: Die Spitzenpolitikerin aus dem fernen Berlin — oder nicht doch die nette Nachbarin, die gerade ihren Wochenendeinkauf macht?

Politik wird mit AKK nahbarer und zugewandter werden — auch in der CDU. Für Merkel war die Volkspartei mit ihren 420000 Mitgliedern ein notwendiges Vehikel zum Regieren. Für Kramp-Karrenbauer ist sie die „größte Denkfabrik des Landes“.

Wochenlang war sie auf „Zuhör-Tour“ in der Partei unterwegs. Mit Edding-Stiften sollten die Mitglieder ihre Fragen, Nöte, Beschwernisse auf Karteikarten schreiben und an eine blaue Wand kleben. Pflegenotstand, Kita-Gebühren, Flüchtlinge: In Minutenschnelle wurde die Wand zur Klagemauer einer Partei, die sich unverstanden und nicht gehört fühlt. Davor stand sie, mehr Familientherapeutin als Generalsekretärin, und sagte Sätze wie: „Ich verstehe sehr gut, was Sie meinen, und nehme Ihre Empfindungen sehr ernst.“ Sätze, die man von Angela Merkel nie gehört hatte.

Alles, was sie auf der Zuhör-Tour zu hören bekam, notierte Kramp-Karrenbauer in einer schwarzen DIN-A4-Kladde. Sie liegt bis heute in ihrem Büro. Es ist das Sorgenbuch der Partei.Aber auch so etwas wie das Lastenheft der neuen Vorsitzenden.

Fragen reichen jetzt nicht mehr, sie muss Antworten geben. Antworten, die den konservativen Flügel mit der neuen Vorsitzenden versöhnen. Aber sie dürfen nicht wie eine Kampfansage an die Kanzlerin wirken. AKK, die Merkels Wunschkandidatin war, muss aus deren Schatten heraustreten — ohne dabei illoyal zu sein. Ein neuer Aufbruch für die CDU, der aber kein Bruch sein darf: Geht so etwas? Wer Kramp-Karrenbauer mit dem Wort von der „Mini-Merkel“ kommt, muss sich auf messerscharfe Blicke gefasst machen. „Das ärgert mich inzwischen richtig“, entgegnet sie. „Das ist schon sehr von oben herab. Ich bin 56 Jahre alt, ich habe mit meinem Mann drei Kinder großgezogen, ich habe 18 Jahre lang Regierungsverantwortung getragen. An mir ist gar nix ,mini‘. Einem 56-jährigen Mann würde man nie das Wort ,mini‘ unterschieben.“ Tatsächlich gibt es vieles, was sie mit Merkel verbindet — aber auch erstaunlich viel, was sie von ihr trennt. Sozialpolitisch tickt AKK eher links — sie war schon für Mindestlohn und Frauenquote, als die Kanzlerin noch dagegen war. Aber gesellschaftspolitisch vertritt sie knochenhart konservative Positionen.

Am Werbeverbot für Abtreibungen will sie keinesfalls rütteln. Hier droht der ers  te schwere Konflikt in der Großen Koalition, denn die SPD dringt vehement auf Lockerung. Auch die Ehe für alle hat sie abgelehnt — mit dem Argument, dann seien weitergehende Forderungen möglich, „etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen“. Viele ihrer Werte sind alter Prägung   Zum Standardrepertoire bei ihren Parteiauftritten gehört die Klage über Kindergärten, die aus Rücksicht auf muslimische Familien christliche Martinsumzüge in „Lichterfeste“ umbenennen. „Das ist vorauseilende kulturelle Selbstaufgabe!“, ruft AKK dann empört in den Saal — und jedes Mal gibt es donnernden Applaus. Immer wieder kommen sie durch, die Prägungen aus Püttlingen. In einer Industrielandschaft, die jahrelang unter Strukturwandel litt, kann man schlecht neoliberal auftreten. Kramp-Karrenbauer hat das Zechensterben hautnah miterlebt. Ihr Mann fuhr als Bergbauingenieur Nachtschichten in der Grube „Warndt“ — bis sie für immer schloss und er in den Vorruhestand entlassen wurde. Die Kramp-Karrenbauers ticken daher gewerkschaftsnah. Aber wenn es um kulturelle Fragen von Fortschritt und Öffnung geht — dann soll die Kirche buchstäblich im Dorfbleiben.

Mini-Merkel? AKK wird die CDU eher nach rechts verschieben — nicht nur als taktisches Zugeständnis an den unterlegenen Merz-Flügel, sondern auch, weil sie bei näherem Hinsehen erstaunlich konservativ tickt. Beim Migrationsthema hat sie zwar stets die offene Konfrontation mit der Kanzlerin vermieden. Aber als andere noch darüber stritten, ob man junge Flüchtlinge zur Altersfeststellung untersuchen dürfe,  wurden sie im Saarland schon reihenweise geröntgt. Rigoros ließ sie abschieben. Jungen Muslimen, die in Gemeinschaftsunterkünften das Essen nicht aus den Händen einer Frau entgegen nehmen wollen, soll das Personal nach den Vorstellungen von Kramp-Karrenbauer nüchtern mitteilen: „Okay Jungs, weiter gehen. Heute gibt es kein Essen.“

Auch fordert sie ein lebenslanges Wiedereinreiseverbot für Vergewaltiger und brachte jetzt die Abschiebung von Straftätern nach Syrien ins Spiel. Das ist sogar mit einem Horst Seehofer nicht zu machen. Mit der „schwarz lackierten Sozialistin“ sortiert sich auch die politische Landschaft neu. Forcierte Steuersenkungen sind ihr fremd, ebenso alle Visionen einer Öko- und Multikulti-RepubIik. Ein neuer Anlauf zu einer Jamaika-Koalition dürfte schwierig werden, zumal bei FDP und Grünen Verletzungen fortwirken. Denn es war AKK, die im Saarland einst in einem Überraschungs-Coup ein Jamaika-Bündnis kündigte, um nach Neuwahlen mit der SPD weiter zu regieren. Große Koalitionen liegen ihr, das könnte die angespannte Situation in Berlin stabilisieren. Das Manöver von damals verrät aber auch viel über  Es zeigt ihre Härte, ihr Machtbewusstsein, ihren Mut zum Risiko. In drei ostdeutschen Ländern wird 2019 gewählt, dazu kommen die Europawahlen. Der CDU drohen schwere Verluste. Schlechte Wahlergebnisse sind von jetzt an auch die der Parteivorsitzenden Kramp-Karrenbauer. Sie muss den Niedergang der CDU stoppen — und zwar sehr schnell. Sonst werden ihr andere die Kanzlerkandidatur bald streitig machen. Und wohl auch den Parteivorsitz. Sie bewegt sich jetzt in der Hochrisikozone der Politik. „Eines hab ich an ihr immer bewundert“, sagt Karl Rauber, Kramp-Karrenbauers väterlicher Förderer von einst. „Angst kennt die einfach nicht. Angst ist für die ein Fremdwort.“

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