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Flüchtlinge: Afrikas wachsende Wirtschaft als Chance für Rückkehrer

Erst war es für viele der Traum, nach Europa zu gelangen, um dort bessere Lebensbedingungen vorzufinden. Jetzt ist es für viele Afrikaner ein Traum, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren können, um dort beruflich durchzustarten. Als selbstständige Unternehmer oder als Fachkräfte in großen Firmen. Der schwarze Kontinent bietet mehr und mehr Chancen für die einst Ausgewanderten, um nun zurück zu gehen, und an dem wirtschaftlichen Aufschwung im Land zu partizipieren.

Den Tag, an dem er sein Leben umgekrempelt hat, wird Anthony Mathu nicht vergessen. „Ich saß im Flieger am Flughafen von Frankfurt am Main, angeschnallt auf meinem Platz am Fenster, wir rollten langsam zur Startbahn. Ich sah das Flughafengebäude, dann noch einmal die Skyline der Stadt. Jetzt gibt es kein Zurück mehr, schoss es mir damals durch den Kopf. Es war der 27. Februar 2014″, erinnert er sich. Mulmig sei ihm zumute gewesen bei dem Gedanken, alles, was er in den vergangenen elf Jahren aufgebaut hatte, hinter sich zu lassen: sein Leben in Mannheim, den Job, die Freunde. „Abheben, landen, neu anfangen. Egal wo, Hauptsache, in Kenia. Es tat weh, aber ich war bereit.“ Anthony Mathu, 39, Kenianer, sportlicher Typ, sitzt an seinem schweren, dunkelbraunen, mit Kunstfurnier beschichteten Schreibtisch und tippt in sein Handy. Er erwarte eine Kundin aus Frankfurt am Main, sagt er in gutem Deutsch. Elf Jahre hat Mathu in Deutschland gelebt, angefangen zu studieren, hingeschmissen, gearbeitet, mit einer Deutschen eine Familie gegründet. Die Beziehung hielt nicht. Vor vier Jahren hat er den Neuanfang in Kenia gewagt. Inzwischen ist er erfolgreicher Immobilienmakler mit eigenem Büro in Kitengela, einem Vorort der Hauptstadt Nairobi. Wird in Deutschland und Europa heute über Migration debattiert, geht es meist um Menschen, die nach Europa wollen, vor allem aus dem Nahen Osten und aus Afrika. Afrikaner, die unter Lebensgefahr den Weg durch die Sahara und über das Mittelmeer riskieren, in der Hoffnung auf Asyl. Die meisten stammen aus Krisenländern. Aber es gibt auch eine Wanderung aus Europa zurück nach Afrika — nicht durch Abschiebung erzwungen oder durch staatliche Rückführungsprogramme initiiert, sondern die freiwillige Rückkehr von Afrikanern aus den reichen Ländern des Nordens in die aussichtsreichen Länder des Südens wie Äthiopien, Ruanda, Kenia, Ghana, Nigeria oder Südafrika. Mathu ist einer von vielen, die Europa bereits verlassen haben. Der Gedanke sei ihm 2011 gekommen, drei Jahre vor seinem Rückflug nach Nairobi, bei einem lang ersparten und ersehnten Urlaub in Kenia, erinnert er sich- „Ich besuchte für ein paar Wochen die Familie, traf Freunde. Die hatten es alle zu etwas gebracht, führten eigene kleine Geschäfte oder größere Unternehmen. Und ich? Saß in einer Einzimmerwohnung in Mannheim mit einem schlecht bezahlten Job als Wachmann.“

Inzwischen nehmen viele Afrikaner ihr Herkunftsland als Chance wahr, als eine Region, die ihnen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten bietet. Afrika ist ein Kontinent im Aufbruch. Durch viele Länder geht ein gewaltiger Schub. Während Deutschlands Wirtschaft jährlich um etwa zwei Prozent zulegt, sind in Ländern wie Kenia oder Ghana Raten von fünf und mehr Prozent zu erwarten. In Großstädten wie Lagos oder Abuja, Nairobi, Addis Abeba, Kampala, Kigali oder Accra wächst mit der Wirtschaft eine neue Mittelschichtheran. Das sind gut ausgebildete junge Leute mit spannenden Jobs und gutem Einkommen. In den Städten wächst in Folge auch die Zahl der Luxusapartments und Einkaufszentren. Nach Deutschland gezogen war Anthony Mathu im Jahr2003. Er hatte auf einen Studienabschluss gehofft, ein besseres Leben und einen Verdienst, von dem er etwas an seine Familie würde überweisen können. Doch in Mannheim habe er den Spagat zwischen Studienanspruch und Studentenjobs nicht geschafft, sich das Leben in Deutschland insgesamt leichter vorgestellt, erzählt der Makler heute. Vielen Migranten, die er kennt, sei es ähnlich ergangen.

Die Gründe, weshalb Afrikaner inzwischen zurückkehren, sind jedoch vielfältiger als das bloße Scheitern an den eigenen Hoffnungen. Oft ist es Heimweh nach der eigenen Kultur. Vielfach aber auch der Wunsch, beim afrikanischen Aufbruch dabei zu sein. Und weil sie in ihren Heimatländern nun bessere Karrierechancen entdecken. Während Mathu der Job als Wachmann in Deutschland gerade mal 1000 Euro brutto im Monat einbrachte, verdient er heute mit seiner Immobilienfirma locker das Doppelte, in Spitzenzeiten sogar das Dreifache. „Zwar kämpfen wir hier mitmangelnder Infrastruktur, Unsicherheit, Korruption und Vetternwirtschaft, aber wir können uns oft auch einen höheren Lebensstandard leisten als in Europa“, sagt er. Rückkehrer sind häufig besser qualifiziert, spezialisiert und damit nahezu konkurrenzlos auf dem afrikanischen Arbeitsmarkt. Das gilt derzeit besonders für junge Ruander, die im Ausland studiert haben und nun in ihrer Heimat Karrieren vor sich haben, die für sie in Europa oder den USA kaum denkbar wären. Nicht zuletzt — auch das gehört zur Wahrheit — wegen der Vorurteile aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe.

Typische Rückkehrerländer werden in aller Regel als stabil empfunden, wie beispielsweise Nigeria. Während im Jahr 2005 noch rund 4000 Nigerianer aus der Ferne zurück in ihr Heimatland kamen, waren es ein Jahrzehnt später bereits 9000, mehr als ein Viertel davon allein aus Deutschland. Interessanterweise erfasst der Trend aber auch einige instabile Länder wie Somalia. In dem Land herrscht Bürgerkrieg,   und doch gilt es derzeit global als einer der sich am schnellsten urbanisierenden Staaten. Mogadischu erlebt einen regelrechten Bauboom. Das Geld dafür stammt großenteils von wohlhabenden Somaliern, die einst vor dem Krieg nach Europa oder in die USA geflohen sind. Sie investieren wieder massiv in ihre alte Heimat. Von dieser Entwicklung profitiert in Kenia auch Anthony Mathu mit seiner Immobilienfirma. Fast alle seine Kunden melden sich aus dem Ausland, vor allem aus den Niederlanden, Österreich und Deutschland. Monicah Wanjiru Fiedler, 29, gelernte Altenpflegerin und Studentin, lebt mit deutschem Ehemann und Tochter in Frankfurt am Main. Sie ist auf Familienurlaub in Nairobi und kann sich vorstellen, dorthin irgendwann zurückzukehren. Dafür sucht sie nach einer attraktiven Immobilie oder einem Stück Land. Sie will investieren, nicht in Deutschland, sondern in Kenia. Anthony Mathu hilft ihr dabei. „Es gibt viele von uns, die im Ausland leben und eigentlich gern gehen wollen“, sagt Wanjiru Fiedler. „Sie bleiben, weil ihnen der Mut fehlt. Aus Angst, die Familie könnte sie für Versager halten. Oder weil sie nicht wissen, wie sie nach all den Jahren im Ausland in ihrer Heimat Fuß fassen sollen.“

In Afrika wenden sich mittlerweile diverse Stellenvermittlungs-Agenturen gezielt an potenzielle Rückkehrer und bringen sie an lukrative Jobs. „Homecoming Revolution“ mit Sitz in Johannesburg ist eine von ihnen. „Das Gros der Menschen, die wir vermitteln, ist Ende 20, Anfang sagt Angel Jones, Gründerin der Agentur. „Sie wollen neu anfangen, einen Partner aus demselben Kulturkreis finden, heiraten und sich niederlassen. Wir holen die Potenziale zurück nach Afrika.“ Denn wirtschaftlich lässt sich kaum beziffern, was dem  Kontinent verloren geht, wenn abgewanderte Intellektuelle, Kreative und beruflich gut Ausgebildete im Ausland bleiben. Don’t wait until it gets better, come home and make it better — warte nicht, dass es besser wird, komm zurück und mach’s besser, lautet daher das Motto von Homecoming Revolution. Anthony Mathu hat es ohne Vermittlungsagentur geschafft. Was er schätzt an seinem Land, sind die weniger festgefahrenen Strukturen. Dies lasse Raum, um flexibel zu agieren. „Wenn man in Deutschland einen Baum pflanzt, dann pflanzt man einen kleinen, aber fertigen Baum. In Afrika beginnen wir mit dem Samenkorn. Ein beruflicher Start von ganz unten ist viel schneller und einfacher möglich.“ Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, noch einmal in Deutschland zu leben, schüttelt er entschieden den Kopf. Nicht für eine Million Euro, sagt der Makler lachend. Für die Erfahrung und das Know-how aus Deutschland sei er sehr dankbar. Er besuche gern seinen Sohn und alte Freunde in Mannheim, seine Zukunft aber liege in Afrika. „Für den Rest meines Lebens. Mein Talentwird hier dringender gebraucht.“

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